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- Einige Herren sagten etwas dazu - Die Autorinnen der Gruppe 47
Nicole Seifert begibt sich in ihrem neuen Sachbuch "Einige Herren sagten etwas dazu" auf die Spuren der weiblichen Autorinnen der Gruppe 47, dem Treffen deutscher Autor*innen der Nachkriegszeit. Dabei richtet sie nicht nur zum ersten Mal den Fokus auf diese schreibenden Frauen, sondern auch darauf, wie sie von den Männern inner- und ausserhalb der Gruppe missverstanden, ignoriert oder kleingeredet wurden. Männer haben ja oft etwas zu sagen. Das verhielt sich bei der Gruppe 47, der deutschen Gruppe von Autor*innen der Nachkriegszeit, nicht anders. Doch wie selektiv das Gesagte war und wie wenig Substanz es hatte, wird uns bei der Lektüre von Nicole Seiferts Buch "Einige Herren sagten etwas dazu" nur allzu deutlich. Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Bloggerin Nicole Seifert geht mehr oder weniger chronologisch auf die Treffen der Gruppe 47 zwischen dem Gründungsjahr 1947, daher der Name, und der letzten Durchführung im Jahr 1967 ein. Dabei richtet sie ihren Blick nicht in erster Linie auf die berühmten Herren namens Günter Eich, Günter Grass, Heinrich Böll, Martin Walser, Peter Bichsel oder zuletzt Peter Handke, sondern auf die teilnehmenden Frauen. Von ihnen kennt man vielleicht Ilse Aichinger oder Ingeborg Bachmann, aber da hörte es bei mir ehrlich gesagt schon auf: Ruth Rehmann, Ingrid Bachér, Ilse Schneider-Lengyel, Ingeborg Drewitz, Barbara König, Gabriele Wohmann, Gisela Elsner, Christine Koschel, Christa Reinig, Griseldis L. Fleming, Helga M. Novak, Elisabeth Plessen, Barbara Frischmut und Renate Rasp? Sagten mir bisher alle nichts. Erfolgreich und doch verkannt Wie Nicole Seifert aufzeigt, waren einige wie z.B. Gabriele Wohmann in ihrer Zeit durchaus erfolgreich. Aber auch diese Autorinnen unterlagen während den Treffen dem male gaze - sowohl auf ihre Person als auch auf ihr Schreiben. Auch sie wurden aus der Geschichtsschreibung der Gruppe 47 praktisch getilgt. Und auch sie wurden in Bezug auf die Publikation und Rezeption ihrer Werke sowie die Auszeichnung mit Preisen oder Stipendien systematisch benachteiligt, oft schnell wieder vergessen und kaum je kanonisiert. "In der Selbsthistorisierung der Gruppe und der Literaturgeschichtsschreibung wurden die Autorinnen sogar noch unsichtbarer, weil nur noch die wenigsten Frauen miterzählt wurden." / S. 12 Es geschah also genau das, was Nicole Seifert schon in ihrem Sachbuch "Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt" so eindrücklich geschildert hat. Nicht nur wurden die Frauen von Organisator Hans Werner Richter seltener eingeladen. Wenn sie eingeladen wurden, dann teilweise nur als "Frau von...", ihre Texte wurden nicht verstanden oder es wurde noch nicht mal auf die Inhalte eingegangen. Besonders dann nicht, wenn sie sich Themen wie dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen, den Opfern des Nationalsozialismus, dem Andauern nationalsozialistischer Ideen in der deutschen Gesellschaft oder den Schattenseiten des Patriarchats annahmen. Denn die Strategie der Gruppe 47, um eine neue deutsche Literatur zu etablieren, war es, einfach gar nicht mehr über die Vergangenheit zu sprechen. Deutlichstes Zeichen dafür war, dass Exilautor*innen, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren, in der Gruppe unerwünscht waren. "Man war angetreten als jüngere Generation, die sich von der älteren Generation abgrenzte, ohne sich mit ihr auseinandersetzen zu wollen, und setzte sich – nun selbst die ältere Generation – auch mit der nächsten nicht auseinander." / S. 222 Besonders frappant ist, wie die Herren der Gruppe sowie (meist männliche) Kritiker über die Frauen und ihre Werke sprachen bzw. schrieben, wenn sie es denn taten: "Immer wieder geht es um die Körper der Frauen und ihr Erscheinungsbild, sie werden als Raubtiere beschrieben, als Undine und Melusine, als Göttinnen, Königinnen, Hexen, in jedem einzelnen Fall geriet der Text in den Hintergrund, spielte oft überhaupt keine Rolle mehr." / S. 225 So werden Ilse Schneider-Lengyel, Elisabeth Borchers und Ingeborg Bachmann zu unheilbringenden Sagengestalten und Gisela Elsner zur schlangenköpfigen Medusa, dem Mischwesen Sphinx oder gleich zu Kleopatra. Wie spannend, gehaltvoll und literarisch anspruchsvoll ihre Texte waren, wie wichtigen gesellschaftlichen Themen sie sich dabei annahmen und wie politisch eigentlich das Private und auch die Literatur darüber sind, geriet völlig in den Hintergrund. Mehr über die Mechanismen und darunterliegenden Gründe lest ihr im Buch von Nicole Seifert. Fazit Es könnte sein, dass ihr bei der Lektüre von "Einige Herren sagten etwas dazu" von Nicole Seifert dezent wütend werdet. Aber ihr bekommt auch einen kleinen Einblick in die Schatzkiste des Schreibens deutscher Autorinnen in der Nachkriegszeit, die ihr nun nach und nach entdecken könnt. Ein äusserst lesens- und bedenkenswertes Sachbuch, das einmal mehr deutlich macht, weshalb wir uns weiterhin verstärkt mit weiblichen Autorinnen auseinandersetzen und ihr Schreiben fördern sollten! Die Fakten Einige Herren sagten etwas dazu - Die Autorinnen der Gruppe 47 Nicole Seifert Kiepenheuer & Witsch (KiWi Verlag) 352 Seiten Erschienen am 07.02.2024 Hardcover ISBN: 978-3-462-00353-6 Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* Nicole Seifert auf Instagram PS: Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar an den KiWi Verlag und Netgalley. Die Seitenangaben der Zitate beziehen sich auf die E-Book-Ausgabe und können von der Printversion abweichen. * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Zwischen Du und Ich
Mirna Funk entführt uns in ihrem zweiten Roman "Zwischen Du und Ich" mit Nike und Noam nach Israel. Sie wirft uns mitten hinein in zwei Leben voller Bruchstellen - individuelle, über Generationen vererbte und historische. Ich muss gestehen, ich habe Mirna Funks Romandebüt "Winternähe"* noch nicht gelesen. Ob er nach der Lektüre von "Zwischen Du und Ich" auf meiner Leseliste steht? Ihr erfahrt es am Ende dieses Beitrags. Individuelle und andere Bruchstellen Schon auf den ersten Seiten von Mirna Funks Roman begegnen wir zwei grossen Bruchstellen im Leben von Nike, der einen Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin. Da ist einerseits Doras Stolperstein, der sich direkt vor Nikes Berliner Wohnung im Scheunenviertel befindet. Dora, Dora Waldman, war nicht irgendwer, sondern Nikes Urgrossmutter, die 1941 unter ungeklärten Umständen in Frankreich ums Leben kam. Klar, hier geht es um das Thema Holocaust und darum, wie solche kollektiven Traumata über Generationen weitervererbt werden. Das ist aber nur eine Facette dieser Bruchstelle, sie hat nämlich zusätzlich einen Bezug zu einer individuellen Bruchstelle von Nike, die uns im folgenden Zitat zwar erst andeutungsweise, aber doch in ihrer existenziellen Wucht trifft: "Ich fühlte mich sofort wie damals. Als dürfte ich nicht existieren. (....) Ich war falsch, und Sascha war richtig." (S. 14) Diese Gedanken oder vielmehr Gefühle befallen Nike, als ihr Ex-Freund Sascha mit einem Lastenrad, darin drei kleine Mädchen, an ihr vorbeifährt. Kurz dahinter eine Frau, seine Frau. Zu diesem Zeitpunkt können wir nur ahnen, was zwischen Sascha und Nike vorgefallen ist. Nach und nach erfahren wir in Rückblenden mehr darüber. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es geht um Gewalt, massive Gewalt. Neues Glück dank neuen Medien? Der Roman spielt hauptsächlich in der Gegenwart und in der entschliesst sich Nike Hals über Kopf, für ein Jahr nach Tel Aviv zu gehen, um dort eine Konferenz zu organisieren. Die Konferenz behandelt das Thema "Juden in Deutschland nach 1945". Nike befasst sich also nicht nur privat mit ihren jüdischen Wurzeln, sondern auch beruflich. Mit dem Ortswechsel möchte Nike endlich einmal aus ihrem sehr kontrollierten Leben in Berlin ausbrechen, etwas neues wagen und natürlich auch die Geschichte mit Sascha hinter sich lassen. Seinetwegen hat sie sich seit Jahren auf keinen Mann mehr eingelassen. In Tel Aviv trifft sie auf Noam. Eigentlich trifft er eher auf sie, denn als er sie an einem belebten Platz zum ersten Mal sieht, postet sie ein Bild auf Instagram und er kann sie so schnell ausfindig machen. Ein kleiner Austausch reicht und sie verabreden sich. Kennenlernen im 21. Jahrhundert! Noam nutzt die sozialen Medien zwar intensiv, aber betrachtet sie durchaus kritisch: "Niemand hörte mehr zu, stattdessen monologisierten wir aneinander vorbei, auf den digitalen Plattformen, die man uns bot, und gaben vor, Gespräche führen zu wollen." (S. 91) Noam lernen wir nun nicht zuerst durch Nikes Augen kennen, sondern praktisch aus seiner eigenen Perspektive. Noams Passagen sind zwar in der 3. Person geschrieben, wodurch wir ihm mit etwas mehr Distanz begegnen als Nike. Aber wir kriegen dennoch ganz tiefe Einblicke. Zuerst erscheint uns Noam als selbstbewusster, egoistischer Journalist, der Frauen bloss ausnutzt. Ein richtiger Unsympath, ein Macho, ein Narzisst. Doch nach und nach lernen wir auch seine Bruchstellen näher kennen. Auch sie haben mit dem Holocaust zu tun und auch sie sind gezeichnet von Gewalt und Missbrauch. Als Nike und Noam dann zusammenkommen, zeigen sich ganz andere Seiten von Noam und wir hoffen trotz der anfänglichen Abneigung, dass er seine Traumata überwinden kann. Dass sich Nikes Offenheit ihm gegenüber nicht rächt, sondern dass beide "Ich" sein und gleichzeitig den anderen als "Du" annehmen können. Um zu erfahren, wie sich die Liebe zwischen den beiden entwickelt, müsst ihr das Buch selber lesen. Wo ist der Sinn? Wie ihr aus meinen bisherigen Ausführungen herauslesen konntet, kann ich euch sehr empfehlen, das zu tun! Es ist wirklich eindrücklich, wie Mirna Funk die Persönlichkeiten in ihrem Roman entwickelt. Wie sie uns in ihre Leben, in ihre Seelen, in ihre Köpfe blicken lässt und wie wir sofort beginnen, uns eine Meinung über sie zu bilden. Und wie wir diese Meinung ein ums andere Mal revidieren, wenn wir etwas über ihre Bruchstellen im Leben erfahren. Und genauso, wenn wir sie in der Gegenwart begleiten und ihr Handeln miterleben. Das ist zuweilen richtig schmerzhaft, abgründig, nicht leicht auszuhalten. Man möchte regelmässig eingreifen, den einen oder die andere wachrütteln, warnen, aufhalten... Und gleichzeitig wünscht man den beiden einfach nur, dass sie die ganzen Traumata, ob individuell oder intergenerational, hinter sich lassen können. Mit der Geschichte um Nike und Noam transportiert Mirna Funk nicht "nur" zwei Einzelschicksale und ihre Schnittstellen, sondern ganz viel jüdische Geschichte, aber auch jüdisches Leben heute. Sie spricht Themen wie häusliche Gewalt, Gewalt gegen Frauen bis hin zum Femizid, sexuellen Missbrauch, Vernachlässigung, Armut, den Holocaust und mehr an und spiegelt sie am Leben der beiden Protagonist*innen. Nike fasst es einmal lakonisch so zusammen: "Wir werden geboren, wir leben, eine Menge furchtbarer Dinge passieren, eine Menge toller Dinge, die sich gut anfühlen, passieren, und am Ende sterben wir. Aber Sinn? Sinn ist da nirgends." (S. 237) Den Titel konnte ich bis zum Ende der Lektüre nicht ganz deuten. Aber Mirna Funk hat im Werkstattgespräch mit Flo aka @literarischernerd auf Instagram den entscheidenden Hinweis gegeben (ca. ab Minute 22): "Zwischen Du und Ich" spielt darauf an, dass wir Mühe haben, andere als "Andere" zu sehen, wir sehen ganz oft uns selbst gespiegelt, beziehen die*den Anderen auf uns, vergleichen uns. Sehen viel mehr Objekt als Subjekt. Ich kann euch das Gespräch sehr empfehlen. Und wenn ihr noch nicht genug habt, dann holt euch doch auch noch die Playlist zum Buch. Eine Kritik, die gleichzeitig auch ein kleiner Spoiler ist, möchte ich noch anbringen: In dem Buch kommt es zu einer Vergewaltigung, die aber nicht als solche geframed wird. Meiner Meinung nach müsste wenigstens indirekt, durch die Haltung der Autorin, deutlich werden, dass es sich bei diesem Vorkommnis um sexualisierte Gewalt handelt und dass diese zu verurteilen ist. Fazit Mirna Funk lässt in "Zwischen Du und Ich" zwei verwundete Menschen aufeinandertreffen. Sie schafft es, in ihrem zweiten Roman, einen Bogen zu schlagen vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart, von Berlin nach Tel Aviv, vom kollektiven Schmerz des Holocaust bis zu individuellen Traumata und vom Ich zum Du. Es ist ein intensives, ein schmerzhaftes Buch, aber es bleibt die Hoffnung, dass das Weiterleben möglich ist. Ja, vielleicht sogar ein Leben voller Liebe. Um zum Anfang zurück zu kommen: Aber sicher, muss ich jetzt "Winternähe"* auch noch lesen. Nicht zuletzt, weil Mirna Funk im Gespräch mit Florian Valerius erklärt hat, dass sie einige Male darauf referenziert und ich nun natürlich wissen möchte, ob ich diese Verbindungen auch in die andere Richtung entdecken kann. Die Fakten Zwischen Du und Ich Mirna Funk dtv Verlag 304 Seiten Erschienen am 19.02.2021 Hardcover mit Lesebändchen ISBN: 978-3-423-28267-3 Website von Mirna Funk PS: Herzlichen Dank an den dtv Verlag für das Rezensionsexemplar. Buch kaufen bei genialokal.de (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Like it? Pin it! Magst du diesen Buchtipp für Erwachsene? Dann freue ich mich sehr, wenn du dir den Pin dazu auf Pinterest merkst und so andere darauf aufmerksam machst. * Bei Links mit * handelt es sich um Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Geordnete Verhältnisse
Lana Lux führt uns mit ihrem neuen Roman "Geordnete Verhältnisse" in die Abgründe einer toxischen Beziehung und das bis zum bitteren Ende. Dem Strudel der Beziehung zwischen Faina und Philipp können wir uns nicht entziehen. Und so auch nicht dem Sog dieses Buchs. Die Handlung beginnt, als Philipp 10 Jahre alt wird. Er hat es nicht einfach, seine Mutter ist alkoholabhängig und er wächst teilweise bei seiner Tante Martha auf. Mit seinen roten Haaren, seinen Wutanfällen und Aggressionen sowie seiner lange in die Kindheit andauernden Inkontinenz ist er ein Aussenseiter. Er wünscht sich nichts mehr als einen besten Freund. "Alle lachten über mich, und ich tat so, als würde mich das nicht jucken und als würde ich sie nicht alle töten wollen." / S. 18 Und dieser bester Freund taucht in Form von Faina auf, die mit ihren jüdischen Eltern aus der Ukraine geflohen ist und nun in Philipps Klasse kommt. Zufällig hat sie genauso rote Haare wie Philipp. Als fremdsprachiges Kind ist sie so zuerst einmal genauso eine Aussenseiterin und froh um Philipps Gesellschaft. Schnell werden sie zum untrennbaren Duo. Allerdings zeichnet sich schon in dieser Zeit ab, dass die Beziehung eine toxische ist. Denn Philipp möchte Faina schon da exklusiv für sich, kontrolliert und belehrt sie. Weshalb sie das genau über sich ergehen lässt, wird nicht ganz klar. In ihrer Jugend versuchen sie es dann auch einmal mit einer romantischen Beziehung, doch Philipp ist asexuell, ekelt sich förmlich vor körperlicher Nähe und dem Austausch von Körperflüssigkeiten. Entsprechend schnell wechseln sie zurück zur bewährten, wenn auch sehr innigen und sehr exklusiven Freundschaft. Der unausweichliche Strudel einer toxischen Beziehung In ihrer Studienzeit leben die beiden gemeinsam in einer WG und Philipp könnte glücklicher nicht sein. Philipp hat ausreichend Geld, wobei nicht ganz klar ist, ob es geerbt ist oder selberverdient mit Trading. Doch Philipp eines Tages tut Philipp in Fainas Abwesenheit etwas Schlimmes, wobei er es in seiner verzerrten Wahrnehmung für eine gute Tat hält: "Es war im Sommer 2009. Zwei Jahre nach dem Abi. Ich war plötzlich reich und Faina war endlich Single und das Leben schien gut zu sein, bis sie alles zerstörte." / S. 27 Faina zieht aus, zuerst nach Berlin und später mit Hilfe eines Stipendiums ein Jahr nach Israel. Dort lebt sie ihre Bisexualität richtig aus. Allerdings mit der Folge, dass sie schwanger wird, das Studium abbricht und mit einem Haufen Schulden nach Deutschland und schliesslich zu Philipp zurückkehrt. Denn der sieht seine Chance gekommen, Faina nun für immer an sich zu binden. Indem Faina finanziell von ihm abhängig ist, er die Vaterschaft für das ungeborene Kind anerkennt etc. spinnt er die Fäden um Faina immer enger. Lana Lux erzählt uns die Geschichte sehr geschickt in wechselnden Ich-Perspektiven und in wechselnden Episoden, spult mal vor und mal zurück, steuert dabei aber unumkehrbar auf den grossen Knall am Ende zu. Dass Philipp ein richtig fieser Typ ist und Faina schon in ihrer Kindheit und Jugend manipuliert, spüren wir schnell. Doch Lana Lux stellt es sehr geschickt an, dass wir ihn nicht nur hassen, sondern auch ein kleines bisschen Mitleid haben. Und auch Faina ist trotz ihres schweren Rucksacks einer Flucht, eines herrschsüchtigen Vaters und einer kontrollierenden Mutter kein typisches Opfer. In der Schule glänzte sie mit Bestnoten und von ihren Eltern emanzipierte sie sich so gut es ging und versuchte, ein finanziell unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Weshalb Faina Philipp überhaupt so nett findet und sich in ihrer Not nicht an andere Freund*innen wendet, die sich durchaus hat, war für mich nicht ganz schlüssig. Anderseits konnte ich sehr gut nachvollziehen, dass sie als sie erstmal in dieser Abhängigkeit zu Philipp stand, sich eben auch nicht mehr so einfach daraus lösen konnte und als Involvierte seine Manipulation auch lange nicht durchschaute oder immer wieder verdrängte. "Aber auf der anderen Seite hasse ich alles. Ich hasse sein Geld und auch seine Fürsorge, seinen Putzwahn, sein Kochen und Füttern. Seine Abläufe. Ich hasse das alles. Und am meisten hasse ich mich selbst, denn ich bin wie eine fette Hauskatze, verwöhnt und vollkommen abhängig." / S. 190 Etwas zu viel des Guten könnten für einige Leser*innen die weiteren Themen sein, die eingeflochten werden, etwa Fainas bipolare Störung oder ihren Job als Sexarbeiterin und Philipps rechtsradikalen Tendenzen und sein Hang zu Verschwörungstheorien. Das passt zwar durchaus zusammen, drängt aber gerade Philipps Figur etwas zu klar in eine Ecke und wirkt daher etwas sehr konstruiert. Die Sprache ist relativ einfach, was ich aber für die beiden Erzähler*innen auch authentisch fand, erleben wir ja quasi direkt ihre Gedankengänge mit. Schade ist, dass es auch zwei, drei inhaltliche Fehler gibt, die spätestens im Lektorat hätten auffallen müssen. Fazit Lana Lux' Roman "Geordnete Verhältnisse" von Lana Lux ist insgesamt eine sehr fein gestrickte Geschichte einer toxischen Beziehung - und das trotz vorübergehender Zimmerpflanzenidylle. Vielleicht gerade deswegen. Wie Faina wähnen wir uns immer wieder in falscher Sicherheit, wollen an das Gute im Menschen glauben. Doch in Philipp werden wir das nicht finden. "Ich suchte Drama. Das hat Philipp mir häufig vorgeworfen, das mit dem Drama. Nur dass die Beziehung zu ihm das größte Drama meines Lebens ist." / S. 237 Für mehr müsst ihr diesen soghaften Roman selber lesen. Trotz kleinerer Kritikpunkte kann ich euch die Lektüre sehr empfehlen. Die Geschichte nimmt auf jeden Fall sehr mit und hallt lange nach - nicht zuletzt, weil der Roman immer wieder von der Realität überholt wird. Die Fakten Geordnete Verhältnisse Lana Lux Hanser Berlin 288 Seiten Erschienen am 18.02.2024 Hardcover ISBN: 978-3-446-27955-1 Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* Lana Lux auf Instagram PS: Herzlichen Dank an Hanser Berlin und Netgalley für das digitale Rezensionsexemplar. Die Seitenzahlen beruhen auf dem E-Book und können von der Printversion abweichen. Weitere Romane mit toxischen Beziehungen Prima facie - Suzie Miller (Kjona Verlag 2024) Cleopatra und Frankenstein - Coco Mellors (Eichborn 2023) Morgen, morgen und wieder morgen - Gabrielle Zevin (Eichborn 2023) Second-Class Citizen - Buchi Emecheta (Blumenbar 2023) Die Farbe Lila - Alice Walker (Ecco Verlag 2021) Zwischen Du und Ich - Mirna Funk (dtv Verlag 2021) * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch oder Hörbuch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Kinderbücher zum Black History Month
Februar ist Black History Month. Mit diesen vier Kinderbüchern könnt ihr euren Kindern Schwarze Geschichte(n) näherbringen. Vom Pappbilderbuch, übers poetische Bilderbuch, bis zum Sachbilderbuch ist alles dabei. Irgendetwas, irgendwann - Amanda Gorman, Christian Robinson Die meisten der Bücher gibt es bisher leider erst auf Englisch. Deshalb stelle ich euch zuerst "Something, Someday" von Amanda Gorman und Christian Robinson vor. Denn das gibt es in der Übersetzung von Marion Kraft und Daniela Seel als "Irgendetwas, irgendwann" auch auf Deutsch. Mit ihrem poetischen Text begleitet Amanda Gorman einen kleinen Schwarzen Jungen durch seine Nachbarschaft. So einiges stimmt hier nicht, ist chaotisch, kaputt oder wird einfach vernachlässigt. Aber der Junge glaubt daran, dass eine Veränderung möglich ist und macht sich ans Werk, etwas Schönes zu schaffen. Und dieses Schöne wirkt ansteckend, verbindet die Menschen und plötzlich wird möglich, was niemand ihm zugetraut hatte. Ein empowerndes Bilderbuch, das kleinen Kindern ab 4 Jahren verdeutlicht, dass niemand zu klein ist, eine Veränderung in Gang zu setzen. Christian Robinson hat den Text im Retrostil mit gedeckten Farben und abstrakten Illustrationen umgesetzt. Sie erinnern an den Collagenstil von Klassikern wie Ezra Jack Keats ("Ein Tag im Schnee" und "Peter lernt pfeifen" habe ich besprochen). Die abgebildeten Menschen sind divers bezüglich Hauttönen, ethnischer Zugehörigkeit, Alter und körperlicher Fähigkeiten. Irgendetwas, irgendwann - Amanda Gorman (Text), Christian Robinson (Illustration), Marion Kraft und Daniela Seel (Übersetzung), Hoffmann und Campe, 2023, 40 Seiten, ISBN: 978-3-455-01697-0, ab 4 Jahren Buch kaufen bei genialokal (DE)*, Buch kaufen bei Thalia (DE)*, Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)*, Buch kaufen bei Buchhaus (CH)*, Buch kaufen bei Thalia (AT)* Something, Someday - Amanda Gorman (text), Christian Robinson (illustrations), Penguin Random House, 2023, 40 pages, ISBN: 978-0-593-20325-5, ages 4-8 Buch kaufen bei genialokal (DE)*, Buch kaufen bei Thalia (DE)*, Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)*, Buch kaufen bei Buchhaus (CH)*, Buch kaufen bei Thalia (AT)* Lust auf mehr von Amanda Gorman? Dann schaut euch diesen Blogbeitrag an! Unstoppable - How Bayard Rustin Organized the 1963 March on Washington - Michael G. Long, Bea Jackson Ein Kinderbuch, das sich explizit der Black History bzw. dem Civil Rights Movement in den USA annimmt, ist "Unstoppable" von Michael G. Long und Bea Jackson. Im Stile einer Biografie für Kinder erzählt Michael G. Long vom Leben und Wirken von Bayard Rustin. Rustin war nicht nur ein Freund von Martin Luther King Jr., der sich von klein auf gegen Diskriminierung einsetzte, sondern war auch Hauptorganisator des "March on Washington", also der grössten Demonstration der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, an der Martin Luther King Jr. seine legendäre Rede "I Have a Dream" hielt. Das Sachbilderbuch ist insofern intersektional, als dass auch Rustins Homosexualität thematisiert wird, wodurch er doppelt marginalisiert war und so fast von seinem Aktivismus für die Rechte von Schwarzen abgehalten worden wäre. Michael G. Long fokussiert im Kinderbuch besonders auf den gewaltfreien Protest, über den er seit Jahren forscht und schreibt. Bea Jackson hat das Bilderbuch grossartig illustriert. Die Bilder muten wie eine Mischung aus Fotos und Gemälden an und versprühen den Charme von 60er- oder 70er-Jahr-Filmen. Unstoppable - How Bayard Rustin Organized the 1963 March on Washington - Michael G. Long (text), Bea Jackson (illustrations), little bee books, 2023, 40 pages, ISBN: 978-1-4998-1206-0, ages 6-9 Buch kaufen bei genialokal (DE)*, Buch kaufen bei Thalia (DE)*, Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)*, Buch kaufen bei Buchhaus (CH)*, Buch kaufen bei Thalia (AT)* Michael G. Long hat auch ein Sachbuch für Erwachsene über Bayard Rustin und seine zentrale Rolle für den friedlichen Protest und die Bürgerrechtsbewegung geschrieben. The ABCs of Black History - Rio Cortez, Lauren Semmer Der Schwarzen Geschichte von A bis Z widmet sich "The ABCs of Black History" von Rio Cortez und Lauren Semmer. Dabei sind nicht nur die Illustrationen sehr farbenfroh, sondern auch der Text ist mitreissend formuliert und kommt durchgehend in Reimform daher. Das Buch zeigt die ganze Vielfalt Schwarzen Lebens, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Schwarzen Held*innen aller Bereiche - nicht nur zentrale Figuren des Schwarzen Aktivismus gegen Sklaverei, Segregation und rassistische Diskriminierung, sondern auch Persönlichkeiten aus Kunst, Literatur, Musik, Wissenschaft und mehr werden hier gefeiert. Auf viele Namen wird nicht näher eingegangen, aber sie bieten viel Inspiration, um weitere Schwarze Menschen und ihr Wirken zu entdecken. Am Ende des Buches, werden wichtige Begriffe zu jedem Buchstaben nochmals detaillierter erklärt und mit wichtigen Zahlen und Fakten ergänzt. The ABCs of Black History - Rio Cortez (text), Lauren Semmer (illustrations), workman (Hachette Group), 2020, 64 pages, ISBN: 978-1-5235-0749-8, ages 5+ Buch kaufen bei genialokal (DE)*, Buch kaufen bei Thalia (DE)*, Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)*, Buch kaufen bei Buchhaus (CH)*, Buch kaufen bei Thalia (AT)* Lauren Semmer hat auch ein Buch über eine wichtige Schwarze Persönlichkeit illustriert - Kamala Harris! Who Was Martin Luther King, Jr.? - A Who Was? Board Book - Lisbeth Kaiser, Stanley Chow Und zu guter Letzt noch ein Pappbilderbuch für die Kleinsten. "Who Was Martin Luther King, Jr.?" erzählt in ganz einfachen Worten, wie aus dem kleinen Schwarzen Jungen Martin, der grosse Martin Luther King Jr. wurde. So können sich schon jüngere Kinder ab ca. 3 Jahren dieser wichtigen Persönlichkeit der US-amerikanischen und insbesondere der Schwarzen Geschichte annähern. Über das für Kinder gut nachvollziehbare Konzept von "Fairness" werden sie an Themen wie Diskriminierung, Rassismus und Freiheit herangeführt. Who Was Martin Luther King, Jr.? - Lisbeth Kaiser, Stanley Chow (illustrations), Rise (Penguin Random House), 2020, 26 pages, ISBN: 978-0-593-22273-7, ages 2-4 Buch kaufen bei genialokal (DE)*, Buch kaufen bei Thalia (DE)*, Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)*, Buch kaufen bei Buchhaus (CH)*, Buch kaufen bei Thalia (AT)* * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. 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- Nicky und Vera - Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er rettete
Peter Sís erzählt in seinem Bilderbuch "Nicky und Vera" die wahre Geschichte eines Mannes, der 669 jüdische Kinder vor den Nationalsozialisten gerettet hat. Ein eindrückliches Kinderbuch gegen das Vergessen. Nie wieder ist jetzt! Und ich hoffe, dass Bücher wie "Nicky und Vera" nicht nur etwas gegen das Vergessen des Holocaust beitragen, sondern ins Heute hineinwirken, so dass sich diese grauenvolle Geschichte nie mehr wiederholt. Peter Sís, ein tschechischer Illustrator, der seit den 1980er-Jahren in den USA lebt, hatte als Kind der Nachkriegszeit immer wieder Geschichten über Überlebende des Holocaust gehört. Doch von Nicholas Winton hörte er erstmals, als er mit seinem Sohn nach Prag reiste und zufällig eine Feier zum 100. Geburtstag des "Winton-Zugs" beobachtete. Mit dem Zug in die Freiheit Die Geschichte von Nicholas alias Nicky Winton verknüpft Peter Sís in seinem Bilderbuch mit der Geschichte von Vera. Als Nicky 1938 aus England zu einem Freund nach Prag reiste, war sie gerade zehn Jahre alt und lebte mit ihrer Familie und ganz vielen Katzen in der Nähe von Prag. Sie waren Juden, sprachen Tschechisch und die Eltern auch Deutsch. Im Oktober marschierten die Nationalsozialisten ins Sudetenland, also in die Grenzregion der Tschechoslowakei, ein. Viele Jüdinnen und Juden flohen vor den Nazis. Veras Mutter füllte den Keller mit zusätzlichen Lebensmitteln und Kleidern. Und dann erfuhr sie von einem Mann, der jüdischen Kindern nach England half. Das war Nicky. Als Nicky 1938 in Prag war, begriff er, dass der Krieg bald ausbrechen würde und dass er so vielen jüdischen Kindern wie möglich aus dem Land helfen musste. England nahm Flüchtlinge unter 17 Jahren auf, wenn sie in England eine Pflegefamilie fanden. Mit einigen anderen Menschen legte Nicky Listen mit jüdischen Kindern an, kümmerte sich um Pflegefamilien, besorgte die Papiere und organisierte die Ausreise der Kinder mit dem Zug nach England. Veras Eltern entschieden, ihre Tochter mit einem solchen Zug mitzuschicken und 1939 kam sie zusammen mit 67 anderen Kindern in London an. In insgesamt acht Zügen verliessen im Sommer 1939 noch vor dem Krieg 669 Kinder Prag und kamen wohlbehalten in London an. Veras Cousins waren leider im neunten Zug, der nie mehr aus Prag abreisen sollte. Ein Leben ausserhalb des Rampenlichts Nicky reiste nach England zurück, als der Krieg ausbrach und war im Krieg Krankenwagenfahrer. Seine Rettungsaktion behielt er nach dem Krieg Jahrzehnte für sich, bis eines Tages seine Frau die alten Unterlagen entdeckte. In der Folge trat er sogar einmal im Fernsehen auf. Zu der Sendung wurden auch zahlreiche der geretteten Kinder, mittlerweile natürlich längst erwachsen, eingeladen, um Nicky zu überraschen. "Ich war kein Held, sagte Nicky. Ich war nicht in Gefahr wie echte Helden. Ich habe nur gesehen, was getan werden musste." Peter Sís erzählt sehr geschickt abwechselnd von Nicky und Vera. So bringt er ihre beiden Geschichten und den Punkt, an dem sie sich getroffen haben, zusammen und gibt nicht nur dem "Helfer" Platz, sondern auch der Überlebenden und allen Opfern des Nationalsozialismus, die nicht das Glück hatten, in einem der acht Züge zu sitzen. Die Bilder sind sehr künstlerisch in gedeckten Farben gehalten. Die Episoden um Vera eher in Brauntönen, diejenigen um Nicky in Blau. Viele Bilder wirken wie alte Fotos oder Landkarten. Aquarellierte Flächen ergänzen sich mit ganz fein strukturierten (mal gepunkteten, mal wie von einem Gewebe durchzogenen) Flächen. Oft beinhalten Körper oder Gegenstände in Miniaturbildern ihre eigene Vergangenheit, so dass wir bei genauem Betrachten sehr viel über die Personen erfahren und uns Episoden aus ihrem Leben selber ausmalen können. Ich würde das Bilderbuch ab 6 oder 7 Jahren empfehlen. Einerseits wegen der künstlerischen Umsetzung, andererseits wegen der Komplexität der Erzählung und der Inhalte und auch wegen allem, was nicht erzählt wird, was ein gewisses Vorwissen oder ergänzende Erklärungen durch die Vorlesenden erfordert. Eine äusserst berührende Geschichte, die lange nachhallt. Übrigens: Auf der Website des Verlags findet sich auch Unterrichtsmaterial für die 1.-4. Klasse sowie die 5.-13. Klasse. Fazit Peter Sís bietet mit "Nicky und Vera" nicht nur ein Buch gegen das Vergessen, sondern animiert uns auch dazu, darüber nachzudenken, ob wir tun würden, was Nicky getan hat. Es ist klar: Das darf gar nie wieder notwendig werden. Und deshalb gilt es, neben leisen Heldengeschichten eben auch immer wieder die Geschichten von Überlebenden und Opfern wie Vera zu erzählen. Die Fakten Nicky und Vera Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er rettete Peter Sís (Text + Illustration) Brigitte Jakobeit (Übersetzung aus dem Englischen) Gerstenberg Verlag 64 Seiten Erschienen am 31.01.2022 Hardcover ISBN: 978-3-8369-6151-6 Ab 6-7 Jahren Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* PS: Herzlichen Dank an den Gerstenberg Verlag für das Rezensionsexemplar. Weitere Kinder- und Jugendbücher rund um den Holocaust und das Judentum Fenster in der Nacht - Geschichten der Hoffnung - Neil Shusterman, Andrés Vera Martínez (Loewe Graphix 2024) Über die Grenze - Maja Lunde, Regina Kehn (Urachhaus 2021) Zwei von jedem - Rose Lagercrantz, Rebecka Lagercrantz (Moritz Verlag 2021) Und doch sind alle Äpfel rund... - Christine Hubka, Agi Ofner (Tyrolia Verlag 2021) Hannah Arendt. Little People, Big Dreams - María Isabel Sánchez Vegara, Sophie Martineck (Insel Verlag 2020) Wem gehört der Schnee? Eine Ringparabel - Antonie Schneider, Pei-Yu Chang (NordSüd Verlag 2019) Anne Frank. Kleine Bibliothek grosser Persönlichkeiten - Isabel Thomas, Paola Escobar (Laurence King 2019) Anne Frank. Little People, Big Dreams - María Isabel Sánchez Vegara, Sveta Dorosheva (Insel Verlag 2019) * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Tschüss Uroma - Eine Geschichte über Familie, das Abschiednehmen und den Tod
Seid ihr auf der Suche nach einem Buch übers Abschiednehmen und Trauern, das auch noch divers ist? Dann kann ich euch das #ownvoices Buch "Tschüss Uroma" von Josephine Apraku und Anna Meidert empfehlen. Yao ist Teil einer vielfältigen und weitverzweigten Familie. Nun ist ihre Uroma Grace in London gestorben. Ursprünglich kommt Uroma Grace aber aus Ghana und deshalb soll nun in ihren beiden Heimaten von ihr Abschied genommen werden. Zweimal Abschied feiern Yao reist mit ihrer Mama, ihrem Papa, Oma Maria, zwei Opas und zwei Tanten nach London, wo die erste "traurige Party" für Uroma Grace stattfindet. Ihr dickes Dinobuch und ihr Kuscheltiereinhorn dürfen auch mit. In London kommen sie bei einer weiteren Tante, Aunty Abena unter. Ganz schön eng, aber auch kuschelig! In der Kirche feiern sie fast vier Stunden lang Abschied von Uroma Grace, die in einem Sarg liegt. Dieser Sarg reist dann mit der ganzen Familie weiter nach Accra, in Ghana, für die zweite "Beerdigung". In Ghana treffen sie auf weitere Verwandte. Natürlich trauern sie viel, aber sie gehen auch gemeinsam auf den Markt, essen Jollof Rice oder Redred mit Plantain. Für die Beerdigung kleiden sich alle in Rot und Schwarz. Den letzten Tag geniessen sie dann gemeinsam am Strand, bevor sie alle gemeinsam zum Flughafen fahren, um sich wieder in alle Richtungen zu zerstreuen, nach Grossbritannien, in die USA und nach Deutschland. Neben der Geschichte über den Tod und das Abschiednehmen in unterschiedlichen Kulturen erzählt Josephine Apraku in ihrem Bilderbuch "Tschüss Uroma" auch eine Geschichte über eine diverse Familie mit vielen Schwarzen Familienmitgliedern aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern wie Ghana oder Nigeria, die über die ganze Welt zerstreut leben. Wie nebenbei wird so auch thematisiert, dass sich die Familie nicht so oft sehen kann und auch das Reisen nicht für alle so problemlos möglich ist wie für die Familienmitglieder mit deutschem Pass. Besonders gefällt mir auch, wie gut aufgehoben Yao in ihrer Familie und weiteren Verwandtschaft ist, wie Bücher und das Vorlesen eine grosse Rolle spielen und alle sich Zeit nehmen, um Yaos Fragen rund um den Tod und das Abschiednehmen zu beantworten. Yao wird klischeefrei dargestellt, indem sie sich gleichzeitig für Dinos interessiert, aber auch Einhörner und Meerjungfrauen-Badeanzüge mag. Illustriert hat das Bilderbuch die deutsch-nigerianische Illustratorin Anna Meidert. Die Illustrationen sind eher einfach gehalten, mit grossen, unstrukturierten Flächen. Witzig sind die Perspektiven und die übertrieben stark verzerrten Formen (z.B. überlange Beine oder Arme). Neben den unterschiedlichsten Hauttönen, Haarstrukturen und Frisuren gibt es z.B. auch eine Person mit Vitiligo und Menschen aller Generationen. Toll finde ich natürlich auch, wie viel Platz Bücher einnehmen, ob jetzt explizit oder einfach ganz unauffällig im Bild. Schliesslich ist das endlich mal ein Kinderbuch mit vielen Schwarzen Menschen ohne übertrieben viele nackte Füsse - ausser im Bett und am Strand. ;-) Das und der Fakt, dass hier einzelne Länder und Städte Afrikas genannt werden und es eben nicht einfach "Afrika" ist, ist bestimmt dem Umstand zu verdanken, dass es ein #ownvoices Buch ist. Der Text ist relativ ausführlich, so dass wir das Buch in zwei Etappen vorgelesen haben. Ältere Kinder schaffen wohl das ganze Buch in einem Rutsch. Fazit "Tschüss Uroma" von Josephine Apraku und Anna Meidert ist eine Geschichte über das Abschiednehmen und den Tod, die sich anfühlt, wie eine warme Umarmung. Die Trauer wird zugelassen, aber genauso werden auch die Freude und das gemeinsame Erinnern zelebriert. Ein wunderbar diverses Bilderbuch mit neuen Einblicken in den Umgang mit dem Tod in unterschiedlichen Gesellschaften. Die Fakten Tschüss Uroma Eine Geschichte über Familie, das Abschiednehmen und den Tod Josephine Apraku (Text) Anna Meidert bli bla blub Verlag 48 Seiten Veröffentlicht am 28.11.2023 ISBN: 978-3-910482-01-2 Ab 4 Jahren Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* Josephine Apraku auf Instagram PS: Herzlichen Dank an den bli bla blub Verlag für das Rezensionsexemplar. Weitere Kinderbücher und Jugendbücher von Schwarzen Autor*innen/Illustrator*innen Nicht nur, aber besonders im #blackhistorymonth Februar möchte ich Schwarzen Autor*innen und Illustrator*innen eine Plattform bieten und euch ihre vielfältigen Geschichten und auch Sachbücher empfehlen. Schaut doch auch in folgende Beiträge: Odo und der Beginn einer grossen Reise - Dayan Kodua, Robby Krüger (Gratitude Verlag 2021) Sulwe - Lupita Nyong'o, Vashti Harrison (Mentor Verlag 2021) Kami & Mika - Die phantastische Reise nach Wolkenhain - Regina Feldmann, Ayşe Klinge (Sauerländer 2023) Die Farbe der Haut mit allen Sinnen - Joceline Altevogt, Justine Canga, Thomas Delaroziere (Nalingi 2021) Change - Amanda Gorman, Loren Long (Hoffmann & Campe 2021) Akissi 4 - Die Königin der Nervensägen - Marguerite Abouet, Mathieu Sapin (Reprodukt 2022) Amanda Gorman. Little People, Big Dreams - María Isabel Sánchez Vegara, Queenbe Monyei, Insel Verlag (2022) Kamala Harris. Little People, Big Dreams - María Isabel Sánchez Vegara, Lauren Semmer, Insel Verlag (2022) The Youngest Marcher - Cynthia Levinson, Vanessa Brantley Newton, Atheneum Books (Simon & Schuster 2017) Harriet Tubman. Fluchthelferin bei der Underground Railroad. Aus der Sklaverei in die Freiheit - Ann Petry (Nagel & Kimche 2022) Steck mal in meiner Haut! Antirassismus, Aufklärung und Empowerment - Saskia Hödl, Pia Amofa-Antwi und Emily Claire Völker (EMF Verlag 2022) Rassismus geht uns alle an - Josephine Apraku, Jule Bönkost, Meikey To (Carlsen 2022) Das Buch vom Antirassismus. 20 Lektionen, um Rassismus zu verstehen und zu bekämpfen - Tiffany Jewell, Aurélia Durand (Zuckersüss Verlag 2020) Weitere Kinderbücher über Sterben, Tod und Verlust Ein Garten für uns - Zoë Tucker, Julianna Swaney (NordSüd 2022) Die Farbe von Zitronen. Eine Geschichte über Abschied und Erinnerung - Kenesha Sneed (Prestel junior 2021) Füchslein in der Kiste - Anje Damm (Moritz Verlag 2020) und 5 weitere Bilderbücher rund um Tod und Sterben Ein eiskalter Fisch - Frauke Angel, Elisabeth Kihßl (Tyrolia 2020) * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Ein Garten für uns
Der Frühling lädt ein, den Garten wieder zum Leben zu erwecken. Das tun auch das Mädchen und seine drei älteren Freundinnen im Bilderbuch "Ein Garten für uns" von Zoë Tucker und Julianna Swaney. Sie sähen unterschiedlichste Blumen und ganz viel Gemüse an. Zoë Tucker zelebriert mit ihrem Text das Aussäen richtiggehend. Und auch die Damenrunde zelebriert das Warten auf die ersten Sprossen im Garten - stilecht mit einer Tasse Tee. Langsam geht der Frühling in den Sommer über und die Pflanzen gedeihen prächtig, schlängeln sich Rankhilfen entlang in Richtung Sonne, saugen alle Regentropfen auf, blühen in den schönsten Farben und verströmen die intensivsten Düfte. Die Ich-Erzählerin und die älteren Frauen geniessen die warme Jahreszeit in vollen Zügen und mit den kürzer werdenden Tagen ernten sie, was in ihrem Garten gewachsen ist. Gemeinsam mit Familie und Freund:innen geniessen sie köstliche Speisen und erzählen sich Geschichten. Der Herbst des Lebens Mit Beginn des Winters muss das Mädchen nicht nur von den warmen Temperaturen und den intensiven Farben Abschied nehmen, sondern auch von einer der älteren Frauen. Was dem Mädchen bleibt, sind ganz viele Samen und wunderschöne Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Und wer weiss, vielleicht gibt es ja doch eine Art Wiedersehen im nächsten Frühling? Zoë Tucker stellt mit ihrer Geschichte eine Analogie her zwischen dem Verlauf der Jahreszeiten und dem Lauf des Lebens. Beides beginnt mit einem Samen, wächst und gedeiht, wird dann schwächer und ruhiger und geht eines Tages zu Ende. Aber es bleiben Erinnerungen und vielleicht eine Form der Verbundenheit über den Tod hinaus. Und es entsteht immer wieder neues Leben, sei es nun in Form von Menschen, Pflanzen oder drei jungen Kätzchen. Julianna Swaney hat die berührende Geschichte in warmen Farbtönen illustriert. Besonders schön sind die Seiten voller Blumen und Gemüse, voller Leben und Geschäftigkeit. Aber auch die ruhigeren Szenen hat sie ganz sanft eingefangen. Schön ist auch, dass sie den illustratorischen Bogen vom Vorsatz mit Samentüten bis zum Nachsatz mit den dazugehörigen Pflanzen schlägt. Durch unterschiedliche Altersstufen, Haarfarben und Hauttöne weist das Buch auch eine gewisse Diversität auf. Fazit Zoë Tucker erzählt in "Ein Garten für uns" entlang des Jahresverlaufs eine berührende Geschichte vom Werden und Vergehen und einer generationenübergreifenden Freundschaft. Julianna Swaney hat das Bilderbuch in warmen Farben und mit vielen liebevollen Details illustriert. Ein Bilderbuch für alle Jahreszeiten für Kinder ab 4 Jahren. Die Fakten Ein Garten für uns Zoë Tucker (Text) Julianna Swaney (Illustration) Anna Schaub (Übersetzung aus dem Englischen) NordSüd Verlag 32 Seiten Erschienen am 16.03.2022 Hardcover ISBN: 978-3-314-10589-0 Ab 4 Jahren Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch bei Thalia kaufen (DE)* Buch bei Orell Füssli kaufen (CH)* Buch bei Buchhaus kaufen (CH)* Buch bei Thalia kaufen (AT)* Website von Zoë Tucker Zoë Tucker auf Instagram Website von Julianna Swaney Julianna Swaney auf Instagram PS: Herzlichen Dank an den NordSüd Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr von Zoë Tucker und Julianna Swaney bei mint & malve Ada und die Zahlen-Knack-Maschine - Zoë Tucker, Rachel Katstaller (NordSüd Verlag 2019) Das alles ist Familie - Michael Engler, Julianna Swaney (arsEdition 2021) Mehr rund um Tod, Sterben und Trauer bei mint & malve Tschüss Uroma - Eine Geschichte über Familie, das Abschiednehmen und den Tod - Josephine Apraku, Anna Meidert (Bliblablub Verlag 2023) Die Farbe von Zitronen. Eine Geschichte über Abschied und Erinnerung - Kenesha Sneed (Prestel junior 2021) Füchslein in der Kiste - Anje Damm (Moritz Verlag 2020) und 5 weitere Bilderbücher rund um Tod und Sterben Ein eiskalter Fisch - Frauke Angel, Elisabeth Kihßl (Tyrolia 2020)
- Die Farbe Lila
(Werbung) Mit "Die Farbe Lila" von Alice Walker habe ich mir wieder einmal einen Klassiker vorgenommen. Passend zum Black History Month von einer US-amerikanischen Schwarzen Autorin aus den Südstaaten. "Die Farbe Lila" von Alice Walker erschien auf Englisch (The Color Purple) erstmals 1982 und gewann 1983 den Pulitzer Prize for Fiction und den National Book Award. Anfang Jahr lief die neue Verfilmung des Romans (bzw. eigentlich des Musicals) in Deutschland und der Schweiz an. Ein guter Grund also, zu dem Buch zu greifen. Bevor ihr das Buch kauft, solltet ihr allerdings mein PS beachten. Vorab eine Contentwarnung: Es geht im Folgenden um sexualisierte Gewalt und Rassismus. Eine Geschichte über Schwesternschaft, Queerness und Emanzipation Alice Walker erzählt in "Die Farbe Lila" die Geschichte von Celie, die anfangs 1900 in Georgia, also den amerikanischen Südstaaten, lebt. Celie erzählt in Briefen an Gott von ihrem Leben, das von Gewalt und Diskriminierung in mehrfacher Hinsicht geprägt ist. Celie ist Schwarz und wächst in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Die offensichtlichste Gewalt erfährt sie durch ihren Vater Alphonso, der sie wiederholt vergewaltigt. Die Folge sind zwei Kinder, die der Vater aber weggibt. Später heiratet Celie einen "Mister" (Albert), um ihre Schwester Nettie vor der Verheiratung mit ihm zu schützen. Auch hier erfährt sie Gewalt (v.a. durch ihren Mann), wird zum Sex gezwungen und von den Stiefkindern, die sie aufzieht, verachtet. Celie ergibt sich mehr oder weniger klaglos ihrem Schicksal, hört aber nicht auf zu träumen, denn eigentlich war sie gut in der Schule, hätte gerne weiter gelernt. Das Schlimmste ist für Celie aber, dass Mister ihr ihre geliebte Schwester Nettie vorenthält. Ja, sie lebt sogar im Glauben, diese sei tot. Und wie es um ihre Kinder Olivia und Adam steht, weiss sie ebenso wenig. Celies Leben verändert sich erst, als die erfolgreiche Sängerin Shug Avery in ihr Leben tritt. Shug war mal mit Mister zusammen, hat mehrere Kinder mit ihm. Und obwohl sie auch jetzt wieder mit Mister anbandelt, kommen sich auch die beiden Frauen näher. Durch die Gespräche und die Verbindung zu Shug beginnt Celie mehr und mehr, für ihren Wert einzustehen, sich zu wehren, Gewalt und Unterdrückung nicht mehr hinzunehmen und sich etwas eigenes aufzubauen. Neben dem Entdecken wahrer Liebe ohne Gewalt und ihrer Sexualität, beginnt sie auch, ihre Rolle als Frau neu zu denken und es wird offensichtlich, dass sie mit ihrem Kampf gegen das Patriarchat nicht alleine ist. Die Beziehung zu Shug und weitere Freundschaften verleihen ihr Kraft. [Spoilerwarnung: Weiterlesen beim nächsten Zwischentitel] Sklavenhandel und Rassismus Neben der körperlichen, physischen und finanziellen Unterdrückung im Patriarchat geht es in "Die Farbe Purple" auch um Rassismus - in den Südstaaten herrscht noch Segregation, es ist die Zeit der Jim-Crow-Gesetze. Sofia, quasi Celies Schwiegertochter, wird vom weissen Bürgermeister nicht nur ins Gefängnis gebracht, sondern später auch noch seine Haushälterin und Kinderfrau, um nicht zu sagen "Haussklavin". Zudem thematisiert Alice Walker die bis in die Gegenwart reichenden Folgen des Handels mit Sklav*innen in den USA sowie in Afrika. Nettie ist nämlich nicht tot, sondern mit einem Schwarzen Missionarsehepaar - Samuel und Corrine - und deren Adoptivkinder in Liberia. Erstmals im Leben ist Nettie eine Schwarze unter Schwarzen. Und doch gehört sie auch hier nicht richtig dazu. Als Amerikaner*innen und Missionar*innen verkörpern sie trotz ihrer eigenen afrikanischen Herkunft den Kolonialismus des Westens. Von ihren Erfahrungen mit den Olinka berichtet sie Celie in Briefen, die ihre Adressatin allerdings lange nicht erreichen, weil Mister sie abfängt. "Mir war gar nicht klar, wie unwissend ich war, Celie. Das Bisschen, das ich über mich selbst wusste, hätte noch nicht mal einen Fingerhut gefüllt." Starke Frauen und spirituelles Erwachen Neben Shug Avery und mit der Zeit auch Celie gibt es weitere "starke" Frauen in Alice Walkers Roman. Und ihre Schwesternschaft sowie ihre damit einhergehende Emanzipation sind es, die dem Buch eine so grosse Wärme geben, empowern und uns aus weiblicher Perspektive mitfühlen lassen. Noch nicht angesprochen habe ich bisher die dritte Form der Unterdrückung, die Celie erleidet, die religiöse. Sie ist weniger offensichtlich, weil sie durchdrungen ist vom Patriarchat und vom Rassismus, indem Gott wie selbstverständlich als weisser, alter Mann gedacht wird, weiblicher Ungehorsam und noch mehr weibliche Sexualität schambehaftet, ja Sünde, sind. Auch diesbezüglich macht Celie begleitet von Shug eine riesige Entwicklung durch. So schreibt Celie zum Ende hin ihre Briefe nicht mehr an "Lieber Gott", sondern an "Liebes Gott, liebes Alles", ein Zeichen dafür, dass sie nun ihre eigene Definition von Gott hat, die vielmehr in der Spiritualität als in einer fremdbestimmten Art des Christentums liegt. Ich habe "Die Farbe Lila" in der Neuübersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tann als Hörbuch, grandios gelesen von Sithembile Menck, gehört. Unten findet ihr einen Aktionslink, um sofort kostenlos loszuhören. Da Alice Walker auf English im Slang der Südstaaten schreibt, lohnt es sich bei ausreichenden Englischkenntnissen sicher, sich das Original "The Color Purple" vorzunehmen. Ich empfand die Übersetzung als insgesamt sehr gelungen. Allerdings kann man diesen Slang einfach nicht vollständig und vollkommen authentisch transportieren. Holfelder-von der Tann nutzt zum Beispiel oft verschluckte Silben wie in "Ich könnt'...", "Ich hätt'..." oder lässt die Protagonist*innen Pronomen falsch anwenden wie "ihm seine Mutter". Das hat dann zwar etwas sehr Umgangssprachliches, aber nach meinem Empfinden lässt es die Sprecher*innen als weniger intelligent erscheinen, wo es eigentlich mehr darum ginge, ebenen einen bestimmten Slang und vielleicht noch eine gewisse Bildungsferne zu vermitteln. Aber das ist natürlich erstens sehr schwierig und zweitens ein sehr schmaler Grat und mag dann auch der Fehlinterpretation oder den Vorurteilen der Zuhörer*innen geschuldet sein. Fazit "Die Farbe Lila" von Alice Walker ist ein feministischer, antirassistischer Klassiker, der grossartig erzählt ist und sehr schwere Themen mit einer grossen Portion Hoffnung auf Veränderung präsentiert. Ein Buch über Schwesternschaft, Queerness und weibliche Emanzipation, der wohl für immer zu meinen Favoriten zählen wird. PS: In jüngeren Jahren hat die Autorin leider auch einige kontroverse Aussagen gemacht (antisemitische Verschwörungsmythen und transphobe Ansichten). Wenn ihr euch damit befassen möchtet, kann ich euch das Video von "Supposedly Fun" empfehlen. Die Fakten Die Farbe Lila (Buch auf Deutsch) Alice Walker Cornelia Holfelder-von der Tann (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch) ecco Verlag 320 Seiten Erschienen am 23.11.2021 Hardcover (mit Lesebändchen) ISBN: 978-3-7530-0009-1 Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* The Color Purple (Buch auf Englisch) Alice Walker Weidenfeld and Nicolson 272 Seiten Erschienen am 04.08.2022 Hardcover (zahlreiche weitere Ausgaben) ISBN: 978-1-4746-2558-6 Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* "Die Farbe Lila" als Hörbuch geniessen Wie erwähnt gibt es "Die Farbe Lila" auch als Hörbuch bei Storytel (in einer Produktion vom Ecco Verlag und Bayern2). Es wird genial gelesen von Sithembile Menck. Sie verleiht vor allem Celie als Ich-Erzählerin eine sehr passende Stimme, ruhig, aber doch kraftvoll, so dass wir ihr uns sehr nah fühlen. Mit dem Link zum kostenlosen 45-Tage-Probeabo* (statt der üblichen 30 Tage) könnt ihr unverbindlich reinhören und habt zudem Zugang zu über 600'000 weiteren Hörbüchern und E-Books für Gross und Klein! Wir können es nur empfehlen. Wir hören sehr viel, ob nun zuhause oder unterwegs. Das Abo ist jederzeit kündbar. Nach der Probephase kostet es 14.90 Euro/Monat. Weitere Bücher von BIPoC bei mint & malve Lyrik, Kurzgeschichten und Romane Eine Tochter Harlems - Louise Meriwether (Rowohlt 2023) Second-Class Citizen - Buchi Emecheta (Blumenbar 2023) Ein anderes Brooklyn - Jacqueline Woodson (Piper 2019) Der Mann im Untergrund - Richard Wright (Kein & Aber 2022) Meine Haut packt aus - Brigitte Lunguieki Malungo (Story.one publishing 2023) Zusammenkunft - Natasha Brown (Suhrkamp 2022) Pizza Girl - Jean Kyoung Frazier (Kampa 2022) In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel - Samira El-Maawi (Zytglogge 2021) Das grüne Auge - Nathacha Appanah (Lenos Basel 2021) The Hill We Climb - Den Hügel hinauf (zweisprachige Ausgabe) - Amanda Gorman (Hoffmann & Campe 2021) Das Meer der Libellen - Yvonne Adhiambo Owuor (Dumont 2020) Sachbücher, Ratgeber, Berichte und Essays Nach der Flut das Feuer - James Baldwin (dtv 2019, Neuauflage) Nie mehr leise - Betiel Berhe (Aufbau Verlag 2023) Frau auf blossen Füssen - Scholastique Mukasonga (Peter Hammer Verlag 2022) Exit racism - Tupoka Ogette (Unrast Verlag 2020) Und jetzt du. Rassismuskritisch leben - Tupoka Ogette (Piper 2022) Harriet Tubman - Fluchthelferin bei der Underground Railroad. Aus der Sklaverei in die Freiheit - Ann Petry (Nagel & Kimche 2022) Der Sommer, in dem ich Schwarz wurde - Angélique Beldner, Martin R. Dean (Atlantis 2021) Wut und Böse - Ciani-Sophia Hoeder (hanserblau 2021) * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch oder Hörbuch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Alia Astronautin - Mission Freundschaft
"Alia Astronautin" fliegt gerne ins All, auch ganz gerne alleine. Doch irgendwann wird das doch etwas zu langweilig und so begibt sich die Heldin im Bilderbuch von Mahak Jain und Andrea Stegmaier auf die eine besondere Mission. Meine Kinder sind fasziniert vom Weltall und lieben entsprechend Geschichten rund ums Universum und dessen Erkundung. Mit "Alia Astronautin - Mission Freundschaft" von Mahak Jain und Andrea Stegmaier konnte ich die herbe Enttäuschung der Mittleren auffangen, nachdem sie im Planetarium KEIN Teleskop gesehen haben, geschweige denn durch eines gucken konnten, Frechheit! Im Team geht's besser! Alia ergeht es da besser, sie ist nämlich schon Astronautin, hat ihre eigene Rakete und fliegt wann und wo sie will ins Weltall. Nur die Asteroiden machen ihr öfters mal zu schaffen und irgendwie ist es doch recht anstrengend, sich immer selbst um alles kümmern zu müssen, die Raumstation in Schuss halten, die Rakete reparieren, die nächste Mission planen... Eine Assistentin oder ein Assistent wäre eigentlich schon ganz hilfreich. Sherlock konnte schliesslich auch immer auf Watson zählen! ;-) Ihr erster Assistent, Hund Alpha, bewährt sich allerdings nicht wahnsinnig gut und auch mit dem kleinen Jungen Kai läuft es suboptimal. Dann bietet sich ihr plötzlich Ava von sich aus als Assistentin an. Ob das gut gehen kann? Ach was, flexibel bleiben und nicht aufgeben, das ist Alias Devise! Wie harmonisch oder auch nicht, die Zusammenarbeit der beiden verläuft, müsst ihr selber herausfinden. Mahak Jain erzählt mit "Alia Astronautin - Mission Freundschaft" eine Geschichte von Durchhaltewillen, Kreativität, Teamarbeit und Freundschaft. Alia führt uns vor Augen, dass man gut zusammenarbeiten und auch mal neue Wege gehen kann, ohne seine eigenen Ideale zu verraten. Damit es am Ende für alle stimmt, braucht es nur eine ordentliche Portion Fantasie, Hilfsbereitschaft und ein offenes Ohr. Von den Stilmitteln her verbindet die Autorin die üblichen Textpassagen eines Bilderbuchs mit Text in Sprechblasen wie im Comic. Andrea Stegmaier hat die amüsante und minimal spannende Freundschaftsgeschichte wieder einmal wunderbar divers illustriert. Alia könnte tatsächlich von Autorin Mahak Jain, sie lebt in Toronto, Kanada und hat indische Wurzeln, inspiriert sein und Ava ist Schwarz und genderneutral vom Stil her. Teile von Alias Fantasiewelt hat die deutsche Illustratorin (unten findet ihr weitere ihrer Werke) mit orangen Strichen in Szene gesetzt. Mit Ava tauchen plötzlich auch blaue Fantasielinien im Bild auf. Auch hier arbeitet Stegmaier mit eher gedeckten, aber sehr stylishen Farben. Die vielen Details laden zum mehrmaligen Betrachten ein. Fazit "Alia Astronautin - Mission Freundschaft" von Mahak Jain und Andrea Stegmaier ist ein abenteuerliches Bilderbuch mit eigenwilligen, sympathischen Heldinnen und empathischer Message für Kinder ab 4 Jahren und alle Eltern, die wie ich immer noch nicht über den Ausschluss von Pluto aus dem Bund der Planeten unseres Sonnensystems hinweg sind! Die Fakten Alia Astronautin - Mission Freundschaft Mahak Jain (Text) Andrea Stegmaier (Illustration) Birte Spreng (Übersetzung aus dem Englischen) arsEdition Erschienen am 30.01.2024 Hardcover ISBN: 978-3-8458-5803-6 Ab 4 Jahren Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* Website von Mahak Jain Mahak Jain auf Instagram Website von Andrea Stegmaier Andrea Stegmaier auf Instagram PS: Herzlichen Dank an den Verlag arsEdition für das digitale Rezensionsexemplar. Weitere Kinderbücher rund ums Weltall Der Weltraumpostbote - Hungrig durchs Weltall - Guillaume Perrault (Rotopol 2023) Fonk - Geheimagent aus dem All - Tobias Goldfarb, Lisa Hänsch (Carlsen 2021-2022) Kalle und Elsa lieben die Nacht - Jenny Westin Verona, Jesús Verona (Bohem Press 2020) Gibt es auf der dunklen Seite vom Mond Aliens? - Katharina Blansjaar, Ben Moore (Kein & Aber 2017) Weitere Kinderbücher von Andrea Stegmaier In der Savanne stimmt was nicht! - Madlen Ottenschläger, Andrea Stegmaier (Carlsen 2023) Einfach buddeln! - Wenda Shurety, Andrea Stegmaier (Carlsen 2023) Home - A Story of Two Children Thrust Into Homelessness and Uncertain Housing Situations - Tonya Lippert, Andrea Stegmaier (Magination Press 2022) Die gestohlene Weihnachtsgans - Johanna Lindemann, Andrea Stegmaier (Annette Betz 2021) Gebrannte Mandeln für Grisou - Nikola Huppertz, Andrea Stegmaier (Tulipan 2020 *Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Die Brandstifter - Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen
Heute stelle ich euch mal ein politisches Sachbuch vor: Annika Brockschmidt nimmt sich in "Die Brandstifter - Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen" der Entwicklung der GOP ab etwa 1930 bis heute an. Ob ihr das Buch jetzt auch lesen solltet, erfahrt ihr im Beitrag. Als Politologin, die gerade in den USA lebt und den Vorwahlkampf "hautnah" miterlebt, war ich sehr neugierig auf Annika Brockschmidts neues Sachbuch "Die Brandstifter", dessen Untertitel verspricht, zu erklären, wie es Extremisten gelang, die Republikanische Partei (auch GOP für Grand Old Party) genannt, zu übernehmen. Die freie Journalistin geht der Geschichte der Radikalisierung der GOP in 15 Kapiteln nach. Diese orientieren sich mehr oder weniger an jeweils einer leitenden republikanischen Figur der jeweiligen Epoche - von Goldwater, über Nixon, Reagan oder die Bushs, bis hin zu Trump. Recht eindrücklich wird so der krasse Wandel von der Partei, die einmal für die Aufhebung der Segregation war, Abtreibungsrechte verteidigte und das Unternehmertum ins Zentrum stellte, zur Partei, "...die Ausgrenzung, Nativismus, Rassismus und Hetze zu ihren Hauptmerkmalen zählt" (S. 15), nachgezeichnet. Deutlich hält uns Annika Brockschmidt vor Augen, wie früh die Entwicklung hin zum Trumpismus - mit dem Höhepunkt des Sturms aufs Kapitol am 6. Januar 2021 - eigentlich eingeleitet wurde und wie tief diese Entwicklung in rechten Graswurzelorganisationen, extremistischen Stiftungen und ultrareligiösen Vereinigungen verankert ist. Zu viel und doch zu wenig Doch da fängt mein Problem mit dem Buch an: Reich an Anekdoten, Zitaten und erschütternden "Einzelfällen" der Geschichte der republikanischen Partei sind Brockschmidts Ausführungen, die Quellen ebenfalls massenhaft vorhanden. Aber das bleibt alles sehr deskriptiv. Es fehlt die Analyse des "Weshalb". Wie war diese Entwicklung möglich? Weshalb wehrten sich moderate Kräfte innerhalb der GOP nicht oder weshalb war ihre Gegenwehr wirkungslos? Wie genau konnten die Republikaner*innen die Bevölkerung dazu bringen, sie - praktisch gegen jede Vernunft - zu wählen und wie kann ein ehemaliger Präsident mit so viel "Dreck am Stecken", um es mal salopp auszudrücken, ernsthaft wieder als Favorit in der parteiinternen Ausmarchung für die nächste Präsidentschaftskandidatur dastehen? Brockschmidt erzählt eigentlich nur, dass sich die Partei so und so entwickelt hat und was ihre Exponent*innen so alles schwer Fassbares, Menschenfeindliches, Antidemokratisches und Gewalttätiges angestellt haben, aber nicht weshalb. Es fehlt das Analytische - das Zusammenbringen von Einzelentscheidungen und -meinungen zur Parteilinie und das ins Verhältnissetzen mit Entwicklungen in der Gesellschaft und der Wirtschaft, und wie das politische System der USA dies zuliess und immer noch zulässt. Letzterem widmet die Autorin am Ende zwar auch ein Kapitel, aber sie verbindet das, was man politikwissenschaftlich in politics, polity und policies unterscheidet nicht gut untereinander und schon gar nicht mit den gesellschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts. So wird das Lesen dieses Buchs sehr mühsam, fühlt sich an wie endloses Name- und Anekdotendropping ohne weiteren Erkenntnisgewinn. Hinzu kommen einige Fehler und Ungenauigkeiten, die mich daran zweifeln lassen, ob es nicht noch mehr Fehler im Text gibt, die ich als Nicht-Expertin in diesem Gebiet nicht bemerkt habe. Meiner Meinung nach hätte es da ein strafferes und kritischeres Lektorat gebraucht. Ein kleines Müsterchen eines unnötig komplexen Satzes mit übertrieben vielen Abstrakta zum Schluss meiner vielleicht etwas gar kritischen Besprechung: "Gleichzeitig schafft das heutige Framing von politischer Gewalt im Kontext eines Unabhängigkeitskriegs als Analogie zur Gegenwart eine Erlaubnisstruktur für die Anwendung ebendieser Gewalt." / S. 291 Bildet euch gerne selbst eine Meinung, ich wäre gespannt auf eure Eindrücke. Fazit Leider kann ich euch "Die Brandstifter" von Annika Brockschmidt nicht wirklich weiterempfehlen. Es ist vielleicht etwas für politologische Nerds, die sich ein paar Episoden aus der US-amerikanischen politischen Geschichte des letzten Jahrhunderts nochmals vor Augen führen wollen oder die wie ich so einige Schlüsselakteur*innen noch nicht kannten und gerne mehr wissen möchten. Aber auch die kann ich vorwarnen, dass die Analyse des "Warum" ihnen selbst überlassen bleibt und ihnen wahrscheinlich der Kopf nicht nur von den Brandstiftern der GOP, sondern auch vom Buch selbst rauchen wird. Die Fakten Die Brandstifter Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen Annika Brockschmidt (Autorin) Rowohlt 368 Seiten Erschienen am 12.02.2024 Hardcover ISBN: 978-3-498-00330-2 Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* PS: Herzlichen Dank an den Rowohlt Verlag für das digitale Rezensionsexemplar. Die obigen Seitenzahlen beziehen sich auf das E-Book, können also von denjenigen der Printversion abweichen. *Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. 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- Die Glasschwestern
Franziska Hausers Roman "Die Glasschwestern" nimmt uns mit in Gegenwart und Vergangenheit von zwei ungleichen Schwestern, die in ihrer Lebensmitte mit demselben Schicksalsschlag konfrontiert werden und auf ihre je eigene Art einen Umgang damit suchen. Von Franziska Hauser habe ich schon "Die Gewitterschwimmerin" sehr gerne gelesen. und habe nun im Rahmen meiner 12 Bücher, die ich für 2024 ausgesucht habe, auch mit ihrem Roman "Die Glasschwestern", der als Hardcover und E-Book bei Eichborn erschienen ist und demnächst als Taschenbuch bei btb* erscheint (Vorbestellung bereits möglich). Zwei ungleiche Schwestern - derselbe Schicksalsschlag Am selben Tag, an dem Dunjas Ex-Mann Winne von einem Gerüst stürzt, kippt Gilbhart, der Mann ihrer Zwillingsschwester Saphie, vom Hometrainer. Während Saphie den Todesfall von Gilbhart vorerst gut wegzustecken scheint und sich voll in die Arbeit in ihrem ehemals gemeinsamen Hotel auf dem Land stürzt, hadert Dunja viel mehr damit, mit 39 Jahren schon verwitwet zu sein. Dabei war sie ja sogar geschieden vom Vater ihrer bereits erwachsenen Kinder. "Sie (Dunja) beschliesst, Winne endgültig loszuwerden. Einen Toten kann sie in ihrem Leben nicht brauchen." / S. 11 In ihrer Trauer und Orientierungslosigkeit versucht es Dunja zuerst mit einem erotischen Abenteuer, um dann ihren Job als Deutschlehrerin für Fremdsprachige an den Nagel zu hängen und zu ihrer Schwester aufs Land zu ziehen. In das Dorf, in dem sie, Saphie und die 10 Jahre jüngere Schwester Lenka als Töchter eines Glasbläsers in der DDR aufgewachsen sind. Wie selbstverständlich arbeitet Dunja fortan im Hotelbetrieb mit. Als ihre Schwester Saphie sich plötzlich völlig in ihre Trauer um Gilbhart zurückzieht, verkehren sich die Rollen und Dunja übernimmt die Hauptverantwortung fürs Hotel. Die Rückkehr in ihr Heimatdorf ist auch eine Rückkehr in die Vergangenheit, die sie mit dem Wegzug in die Stadt vermeintlich hinter sich gelassen hatte oder höchstens mal in den Ferien besuchen kam. "An dieser Bushaltestelle hat Dunja mit ihrer Schwester zehn Jahre lang jeden Morgen gestanden und auf ihr Leben gewartet." / S. 60 Im Verlauf der Geschichte treffen auch Dunjas Kinder Augusta und Jules sowie die als Sängerin äusserst erfolgreiche Lenka im Hotel ein. Und dann taucht da auch noch ein Filmteam auf, das über einen ominösen Fluchttunnel berichten will, mit dem der Vater der drei Schwestern etwas zu tun haben soll. In Kombination mit verschiedenen Lieb- und sogar einer Schwangerschaft wird das Beziehungs- und Gefühlschaos komplett. Trotzdem ist es ein eher ruhiges Buch, in das man ganz tief eintauchen kann und sich zuerst aus der Perspektive von Dunja, später von Saphie durch die wilden Wasser oder besser den dichten Nebel von Vergangenheit und Gegenwart der Protagonist*innen pflügen kann. Dabei durchzieht die gesamte Erzählung ein feiner Witz, der mich auch über die ein oder andere etwas zu stark auserzählte Stelle getragen hat. In Franziska Hausers Roman "Die Glasschwestern" geht es um den Umgang mit dem Tod des (Ex-)Partners, dem Neuorientieren in der Lebensmitte, das Finden des eigenen Ichs ausserhalb einer Partnerschaft und der Mutterrolle und dem. Insgesamt stellt sich Dunja und Saphie (und auch einigen anderen Protagonist*innen im Buch) nicht weniger als die Frage nach dem Sinn des Lebens. Natürlich liefert Franziska Hauser hier keine einfachen Antworten, aber sie schafft es, mit ihren eigenwilligen Figuren, uns mit auf die Suche zu nehmen und uns mit ihnen auf das Wesentliche zu besinnen: die Verbundenheit mit den Menschen unseres Lebens - und ja, manchmal auch mit einem Hotel oder einem zerfallenden Gartenhaus. Eine wunderbare Lektüre für neblige, aber auch sonnige Tage, die ich besonders Frauen um die 40 empfehlen kann. Aber auch Männer um die 40 mögen das Buch, ich habe es getestet! ;-) Die Fakten Die Glasschwestern (Taschenbuch) Franziska Hauser btb Verlag 432 Seiten Erscheint am 11.04.2024 Taschenbuch ISBN: 978-3-442-77247-6 Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* / Hardcover ebenfalls noch erhältlich (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* Die Glasschwestern (E-Book) Franziska Hauser Eichborn Verlag 430 Seiten Erschienen am 28.02.2020 E-Book ISBN: 978-3-7325-9021-6 E-Book kaufen bei genialokal (DE)* E-Book kaufen bei Thalia (DE)* E-Book kaufen bei Orell Füssli (CH)* E-Book kaufen bei Buchhaus (CH)* E-Book kaufen bei Thalia (AT)* Franziska Hauser auf Instagram PS: Herzlichen Dank an den Eichborn Verlag für das Rezensionsexemplar (das Hardcover im Bild). * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch oder Hörbuch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
- Bei euch ist es immer so unheimlich still
(Werbung) Mit ihrem zweiten Roman "Bei euch ist es immer so unheimlich still" spannt Alena Schröder einen Bogen von den ersten Nachkriegsjahren bis zur Wende und erzählt uns eine besondere Familiengeschichte und damit ganz viel über Mutterschaft. Vielleicht kennt ihr Alena Schröder von ihrem Debütroman "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid"*. Ich habe ihn nicht gelesen, aber das ergibt sich eigentlich ganz gut, denn in ihrem zweiten Roman "Bei euch ist es immer so unheimlich still" erzählt sie die Vorgeschichte. Ihr könnt also wie ich auch sehr gut damit starten. Zurück zur Mutter Silvia Borowski ist gerade frisch Mutter von Töchterchen Hannah geworden. Martin, der Vater, will aber nichts von der gemeinsamen Tochter wissen. In ihrer Berliner WG fühlt sich Silvia auch nicht mehr wirklich gut aufgehoben mit Kind und so macht sie sich kurz vor der Wende 1989 - von der sie noch nichts ahnt - auf nach Westdeutschland. Ihr Ziel ist die (fiktive) Kleinstadt Ildingen in der Nähe von Stuttgart. Sie will zu ihrer Mutter Evelyn, die sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat. "Sylvia hätte eigentlich wissen müssen, dass sie nur eine kurze Abweichung von Martins Lebensplan war. Aber irgendwie war sie in den Honigtopf seiner Zuneigung gefallen und kam nun nicht mehr heraus." Nach und nach erfahren wir in verschiedenen Rückblenden, wie Evelyn nach Ildingen kam, wie sie Ärztin wurde und mit Silvias Vater Karl eine Familie gründete, während dessen Schwester und Evelyns beste Freundin Betti kinderlos blieb. Wir begleiten Silvia beim Aufwachsen, erleben das schwierige Verhältnis zwischen Mutter und Tochter und wie Silvia schliesslich überstürzt von zuhause abhaut. Alena Schröder schwenkt auch immer wieder in die Gegenwart der Erzählung (im Jahr 1989), wo Silvia versucht, irgendwie wieder eine funktionierende Beziehung zu ihrer Mutter herzustellen, wenigstens für Hannah, die eine Grossmutter haben soll. Und so kommen über die verschiedenen Erzählstränge und die Ereignisse in der erzählerischen Gegenwart immer mehr Geheimnisse der bewegten Familiengeschichte ans Licht. Der Umgang mit der Mutterschaft Als übergreifendes Thema könnte man die Mutterschaft betrachten, sowohl die von Evelyn als auch die von Silvia. Während Evelyn stark mit ihrer Mutterrolle zu kämpfen hatte, bringt sie schliesslich Silvias eigenes Muttersein wieder näher zusammen. Darüber hinaus geht es auch um die weibliche Emanzipation, gesellschaftliche Rollenbilder und daran geknüpfte Erwartungen sowie Frauen und Männer, die mit diesen Erwartungen brechen. Es geht um die erste Liebe, um jahrelanges Schweigen, um gleichgeschlechtliche Liebe, um Freundschaft und die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Die eine oder andere Nebenhandlung hätte man sich vielleicht sparen können, aber der Roman hat aufgrund der Beziehungsdynamik, der Sprünge in der Zeit und der zahlreichen Enthüllungen einen so grossen Sog, dass man diese auch gut verschmerzen kann. Besonders mochte ich Alena Schröders Figurenzeichnung. Sie verleiht allen Protagonist*innen ganz eigene Stimmen und arbeitet auch grossartig mit dem Dialekt, so dass man sich direkt vorstellen kann, bei Tante Betti im Auto oder bei Freundin Monika im Wohnzimmer zu sitzen. Auch den Mief der Nachkriegszeit, die Aufbruchstimmung zur Wendezeit und andere Epochen beschwört Alena Schröder ganz wunderbar herauf, als wäre man live dabei gewesen. So wird "Bei euch ist es immer so unheimlich still" zu einem soghaften, sehr emotionalen Leseerlebnis. Fazit Wer gerne ganz tief in eine deutsche Familiengeschichte zwischen Nachkriegszeit und Wende eintaucht, findet in Alena Schröders Roman "Bei euch ist es immer so unheimlich still" eine berührende Geschichte voller unerwarteter Wendungen und eigenwilliger Charaktere. Die Fakten Bei euch ist es immer so unheimlich still Alena Schröder dtv Verlag 336 Seiten Erschienen am 01.08.2023 Hardcover ISBN: 978-3-423-28339-7 Buch kaufen bei genialokal (DE)* Buch kaufen bei Thalia (DE)* Buch kaufen bei Orell Füssli (CH)* Buch kaufen bei Buchhaus (CH)* Buch kaufen bei Thalia (AT)* Alena Schröder auf Instagram PS: Da ich das Hörbuch gehört habe, kann das Zitat leicht vom schriftlichen Original abweichen. Alena Schröders Romane als Hörbuch geniessen "Bei euch ist es immer so unheimlich still" von Alena Schröder gibt es auch als Hörbuch bei Storytel (erschienen bei Hörbuch Hamburg). Es wird genial gelesen von Elisabeth Günther. Ich mag ihre Art zu erzählen sehr. Insbesondere wie sie es schafft, jeder Protagonistin / jedem Protagonistin eine ganz eigene Stimme zu verleihen und dadurch den jeweiligen Charakter zu transportieren und wie sie den süddeutschen Dialekt einbringt, beeindruckt mich sehr. Das Vorgängerbuch "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" gibt es ebenfalls bei Storytel. Das werde ich mir auch noch anhören und bin gespannt, wie Julia Nachtmann den Roman liest. Mit dem Link zum kostenlosen 45-Tage-Probeabo* (statt der üblichen 30 Tage) könnt ihr unverbindlich reinhören und habt zudem Zugang zu über 600'000 weiteren Hörbüchern und E-Books für Gross und Klein! Wir können es nur empfehlen. Wir hören sehr viel, ob nun zuhause oder unterwegs. Das Abo ist jederzeit kündbar. Nach der Probephase kostet es 14.90 Euro/Monat. * Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch oder Hörbuch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. 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