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Vierzehn Tage. Ein Gemeinschaftsroman

(Werbung) Lust auf drei Dutzend nordamerikanische Autor:innen in einem Buch? Dann kann ich euch den Gemeinschaftsroman "Vierzehn Tage", herausgegeben und mitverfasst von Margaret Atwood und Douglas Preston empfehlen.


Vierzehn Tage. Ein Gemeinschaftsroman - Margaret Atwood, Douglas Preston (dtv 2024)


Buch vor dem Mietshaus an der Rivington Street 2 in New York City

Ein Gemeinschaftsroman von 36 Autor*innen von Margaret Atwood und Douglas Preston, über Tommy Orange, Celeste Ng und James Shapiro bis zu Tess Gerritsen, John Grisham und Meg Wolitzer? Kann das funktionieren? Ich würde sagen: Ja, aber. Bevor ich die Jas und die Abers weiter ausführe, zuerst einmal die Basics: Wir befinden uns in einem Mehrfamilienhaus in der Lower East Side von New York.


Ja, im Bild seht ihr das Buch vor DEM Haus an der Rivington Street 2. Ich habe keine Kosten und Mühen gescheut für das Foto. ;-) Rechts seht ihr es nochmals mit der gesamten Fassade. Hinter dem Rolladen (es war Sonntag) erkennt ihr auch die Hausnummer. Die Feuertreppe sieht im Original etwas anders aus als auf dem Cover und reicht nicht bis aufs Dach.


Ein Mietshaus in New York voller Geschichten

Es ist Ende März 2020 und New York befindet sich Mitten im ersten pandemiebedingten Lockdown. Douglas Preston erzählt die Rahmenhandlung aus der Ich-Perspektive von Yessi, der neuen Hausabwartin des Fernsby Arms, wie die Bewohner:innen das heruntergekommene Haus nennen. Yessi ist grossgewachsen, stark und hat sich irgendetwas zu Schulden kommen lassen. Denn aus unbekannten Gründen lebt sie nicht mehr bei ihrer Ex-Freundin in Vermont. Sie kümmert sich neben dem Haus auch um ihren dementen Vater, der seit kurzem in einem Pflegeheim lebt und ursprünglich aus Rumänien zugewandert ist. Wegen des Lockdowns kann sie nicht mehr zu ihm und dringt nicht mal telefonisch zu ihm oder dem Pflegepersonal durch. Zu ihrem Hauswartsjob gehört auch die Wohnung 1A in dem Mietshaus. Die Wohnung ist allerdings im Souterrain und vollgestopft mit den Dingen ihres Vorgängers.


Um mal etwas frische Luft zu schnuppern, geht Yessi aufs Dach. Und sie bleibt nicht die Einzige, immer mehr der Mieter*innen treffen sich da oben und beginnen, sich Geschichten zu erzählen. Das wird zu einem richtigen Ritual: Zuerst klatschen sie für all die Helfer:innen - besonders das Pflegepersonal - dann geht es ans Geschichtenerzählen: mal aus dem eigenen Leben, mal von Bekannten, mal frei erfunden.


Eher Kurzgeschichtensammlung denn Gemeinschaftsroman

Und hier kommt das erste Aber: Während mir die Rahmenhandlung und besonders die Erzählstimme von Yessi sehr gefielen, gab es bei den einzelnen Geschichten erzählerisch und inhaltlich nicht nur Highlights. Insgesamt fand ich die Geschichten oft zu kurz und so sind es insgesamt auch zu viele. So bleibt leider auch wenig hängen. Hinzu kommt, dass viele sich thematisch stark überschneiden. Immer wieder geht es um den Tod, Verlust, Trauer und Geister. Klar, angesichts der exponentiell steigenden Infektionszahlen, den vielen Toten - besonders in New York - und der grossen Unsicherheit bezüglich der nahen Zukunft, liegen diese Themen nah. Trotzdem hätte ich mir thematisch etwas mehr Varianz gewünscht.


Was mir hingegen sehr gefiel, sind erstens einzelne Geschichten und (für mich) neu entdeckte Stimmen wie zum Beispiel Rachel Vail, die sonst im Kinder- und Jugendbuch unterwegs ist. Und zweitens sind sowohl die Autor:innen als auch die Protagonist:innen vielfältig. Da gibt es queere Stimmen, Geschichten aus der Unterschicht, vom Aufwachsen auf dem Land und in der Stadt, von Schwarzen, Natives und Latinx, von Einwanderer:innen aus Asien und Europa oder der Karibik, aus religiösen Milieus, der Künstler- und Literatur-Bohème und aus Musikerfamilien. So wird das Mietshaus zur Metapher für die Vielfalt der US-amerikanischen Gesellschaft, insbesondere des oft beschworenen Melting Pots New York, und wirft ein besonderes Licht auf die unterschiedlichsten - mehr oder weniger traumatischen - Einwanderungsgeschichten, ebenso wie die grosse Varianz an Lebensumständen und -chancen in unterschiedlichen Regionen und Generationen der USA.


"Jericho erklärte, dass das "Aufrechterhalten der Fassade" die drittwichtigste Kunstform in Nashville sei, nach dem Songwriting auf Platz eins und dem Gitarrezupfen auf Platz zwei." /S. 257

Dabei üben die Autor:innen auch immer wieder subtile Gesellschaftskritik, ohne sich selbst (oder ihre Protagonist:innen) zu ernst zu nehmen. Dieser menschliche Blick auf das Zusammenleben im Haus und darüber hinaus hat mir sehr gefallen.


"Die neue Ablassmasche hiess: Kauf mein Buch, dann erlasse ich dir deinen Rassismus, ein vom verstorbenen James Baldwin brillant vermarktetes Verkaufsmotto." / S. 344

Auch Themen wie die psychische Gesundheit, Adoption, Lebensträume, Rassismus, Schicksal, Familie oder der Umgang mit dem "American Dream" und einige Seitenhiebe auf einen gewissen Ex-Präsidenten haben mir gut gefallen. Insgesamt würde ich "Vierzehn Tage" trotz der verbindenden Rahmenhandlung eher als Kurzgeschichtensammlung bezeichnen denn als Gemeinschaftsroman. Auch nicht ganz überzeugt hat mich das Ende, es ist zwar rund, aber irgendwie auch etwas "billig". Andererseits klärt sich im Verlauf des Buches auch, weshalb Yessi in die Grossstadt zurückgekehrt ist, und diese Geschichte hat es in sich! Aber das kann ich aus Spoilergründen nicht weiter ausführen.


Spannend war zudem, dass man beim Lesen vorerst nicht weiss, wer welche Kurzgeschichte geschrieben hat, die Auflösung befindet sich erst in den Beschrieben der Autor:innen. Ich hätte wahrscheinlich mit Ausnahme von Celeste Ng kaum etwas richtig erraten. Ich bin Margaret Atwood und Douglas Preston also durchaus dankbar, dass sie einige bekannte und weniger bekannte Kolleg*innen dazu gebracht haben, bei dem literarischen Experiment mitzumachen und die "freie" Zeit des Lockdowns zum Schreiben zu nutzen.


Wer wissen will, wie das Buch in den USA ankam, kann die Kritik von Alexandra Jacobs in der New York Times (18.02.2024) nachlesen. Ich habe den Eindruck, wir sind uns da weitgehend einig.


Fazit

"Vierzehn Tage", herausgegeben von Margaret Atwood und Douglas Preston, bietet Leser*innen die Gelegenheit, auf 480 Seiten eine Vielzahl und grosse Vielfalt an nordamerikanischen Autor*innen kennenzulernen. Auch wenn das Buch als Gemeinschaftsroman nicht ganz überzeugt, ermöglicht die Geschichtensammlung ein spannendes - und manchmal etwas irrwitziges - Eintauchen in die amerikanische Gesellschaft und Zurücktauchen in die Zeit der Pandemie.


Die Fakten

Margaret Atwood und Douglas Preston (Hrsg.)

Weitere Autor*innen: Charlie Jane Anders, Jennine Capo Crucet, Pat Cummings, Joseph Cassara, Angie Cruz, Sylvia Day, Emma Donoghue, Dave Eggers, Diana Gabaldon, Tess Gerritsen, John Grisham, Maria Hinojosa, Mira Jacob, Erica Jong, CJ Lyons, Celeste Ng, Tommy Orange, Mary Pope Osborne, Alice Randall, Caroline Randall, Ishmael Reed, Roxana Robinson, Nelly Rosario, James Shapiro, Hampton Sides, R.L. Stine, Nafissa Thompson-Spires, Monique Truong, Scott Turow, Luis Alberto Urrea, Rachel Vail, Weike Wang, DeShawn Charles Winslow, Meg Wolitzer


Übersetzungen aus dem amerikanischen Englisch: Pieke Biermann, Christine Blum, Christiane Burkhardt, Svenja Geithner, Susanne Goga-Klinkenberg, Susanne Höbel, Brigitte Jakobeit, Stephan Kleiner, Claudia Max, Hella Reese, Mechtild Sandberg-Ciletti


dtv Verlag

480 Seiten

Erschienen am 14.02.2024

Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen

ISBN: 978-3-423-29002-9



PS: Herzlichen Dank an den dtv Verlag für das Rezensionsexemplar.




"Vierzehn Tage" als Hörbuch geniessen

Hörbuch "Vierzehn Tage" - Margaret Atwood, Douglas Preston (Osterwold Audio)

"Vierzehn Tage" von Margaret Atwood und Douglas Preston gibt es auch als Hörbuch bei Storytel (erschienen bei Osterwold Audio). Es wird genial gelesen von Simone Kabst. Ich mag ihre Art zu erzählen sehr. Den Anfang fand ich etwas komplex zum Hören und habe diesen Teil deshalb lieber gelesen, aber wenn man sich einmal im Setting zurechtfindet, kann man auch gut einzelne Geschichten hören.


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