Jede_ Frau - Ein Buch gegen die Rape Culture
Der Begriff "Rape Culture" mag krass oder übertrieben klingen. Aber Agota Lavoyer erklärt mit ihrem Buch "Jede_ Frau" sehr genau, weshalb wir tatsächlich in einer Rape Culture leben, woran wir das erkennen können und welche Mechanismen diese misogyne, gewaltvolle Kultur am Leben erhalten.

Reaktionen auf das Ansprechen von sexualisierter Gewalt und daraus entstehende Bewegungen wie #metoo, #schweizeraufschrei, #womeninmalefields oder "Ich wähle den Bären" lösen - besonders bei Männern, aber auch bei so manchen Frauen_ - oft Reaktionen wie "Aber nicht alle Männer!" oder "Es gilt die Unschuldsvermutung!" oder "Aber sie hatte doch einen kurzen Rock an!" aus. Und damit befinden wir uns mitten in der Problematik der Rape Culture.
Agota Lavoyer geht dieser über Jahrhunderte etablierten Kultur der sexualisierten Gewalt in ihrem Buch "Jede_ Frau" auf den Grund. Sie äussert sich nicht nur im scheinbar ritualisierten "Ja, aber" von Männern und ihren weiblichen Verbündeten, sondern auch in beängstigend hohen Zahlen an Femiziden, häuslicher Gewalt (wobei schon der Begriff verniedlichend ist), dem anhaltenden Gender Pay Gap, dem allgegenwärtigen Gaslighting, der Täter-Opfer-Umkehr oder der erschreckend tiefen Rate an Verurteilungen von Sexualstraftätern (ja, das ist absichtlich nicht gegendert).
"Sexualisierte Gewalt ist normalisiert, aber sexualisierte Gewalt ist alles andere als normal." / S. 15
Dabei zeigt sie auch das grosse Spektrum von sexualisierter Gewalt auf, die sehr subtil und zumindest physisch noch gewaltlos beginnt mit scheinbar belanglosen stereotypen Aussagen wie "Jungs weinen nicht." oder "Mädchen mögen halt Puppen.", über Catcalling, sexuelle Belästigung, Hatespeech in den sozialen Medien, bis hin zu Vergewaltigung und Femizid.
Kein Einzelfall, sondern patriarchale Machtstruktur
Agota Lavoyer legt in ihrem Buch zuerst eine Basis, indem sie erklärt, wie systematisch sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft stattfindet, wie systematisch sie ignoriert, kleingeredet oder abgestritten wird und was das Patriarchat mit der Rape Culture zu tun hat.
"Rape Culture bezeichnet eine Kultur, in der die Wertvorstellungen und erlernten Haltungen und Verhaltensweisen dazu führen, dass sexualisierte Gewalt akzeptiert wird und normal ist. Diese Kultur zeigt sich in der Art, wie wir sprechen, interagieren, reagieren und denken." / S. 28
Die Scham muss die Seite wechseln
So wird mehr als deutlich, weshalb die Scham die Seite wechseln muss, und wie umfassend wir die Problematik der Rape Culture und damit auch das Patriarchat bekämpfen müssen.
"Rape Culture ist eine Gesellschaft, in der es üblicher ist, die Opfer der Lüge zu bezichtigen, als die Täter zur Verantwortung zu ziehen." / S. 30
Agota Lavoyer geht ausführlich auf die Verbindung von Patriarchat und Rape Culture an, wirft aber auch immer wieder einen Blick auf die Intersektionen z.B. mit Rassismus und Ableismus. Sie geht auf die Sozialisierung von Männern und Frauen im Patriarchat ein, auf das patriarchal geprägte Rechtssystem und dauerndes Gaslighting und Täter-Opfer-Umkehr im gesellschaftlichen und medialen Diskurs. Sie widerlegt Vergewaltigungsmythen (sowohl auf Seite der Täter als auch der Opfer), die sich hartnäckig halten und so sexualisierte Gewalt immer und immer wieder möglich machen, befördern und viel zu oft unbestraft lassen.
"Mein Anliegen ist, dass wir nicht der falschen und auch problematischen Annahme erliegen, dass sich sexualisierte Gewalt auf einer individuellen Ebene und mit Fokus auf die Opfer bekämpfen ließe. Sexualisierte Gewalt ist ein strukturelles Problem, das tief in unserem Miteinander verwurzelt ist. Dieses strukturelle Problem braucht wie alle strukturellen Probleme eine strukturelle Lösung." / S. 193
Agota Lavoyer geht im Kapitel "Unlearn Rape Culture" zumindest in Ansätzen auch darauf ein, wie die oben zitierten strukturellen Lösungen aussehen könnten. Hierzu kann ich euch auch die beiden unten genannten Bücher "Unlearn Patriarchy 1" und "Unlearn Patriarchy 2" empfehlen.
Wegleitend für jegliches Engagement (und auch das eigene, ganz individuelle Verhalten) kann dabei folgendes Motto sein:
"Wir alle können die Rape Culture entlernen, wenn wir uns nicht mehr in erster Linie fragen, ob sexualisierte Gewalttaten strafrechtlich relevant sind, ob es Beweise gibt, ob die betroffene Person glaubwürdig genug ist oder wieso sie keine Anzeige erstattet. Sondern wenn wir uns fragen, ob wir Teil dieser Ungerechtigkeit sind und ob wir auf allen Ebenen genug tun, um sexualisierte Gewalt (zukünftig) zu verhindern." / S. 256
Fazit
Ich habe zwar schon mehrere Bücher zur Thematik gelesen, aber "Jede_ Frau" von Agota Lavoyer hat mir nochmals sehr viel Neues vor Augen geführt oder schon Bekanntes vertieft, mit konkreten Beispielen illustriert und aufgefrischt. Wer vor der "Rape Culture" nicht mehr die Augen verschliessen und/oder etwas dagegen unternehmen will, hat mit diesem Sachbuch den perfekten Einstieg in die Thematik gefunden!
Die Fakten
Agota Lavoyer
Yes Publishing
200 Seiten
Erschienen am 21.05.2024
Hardcover
ISBN: 978-3-96905-285-3
PS: Herzlichen Dank an Yes Publishing und Literaturtest für das digitale Rezensionsexemplar. Seitenzahlen beziehen sich auf das E-Book und können von der Printversion abweichen.
Weiterlesen rund um Rape Culture und sexualisierte Gewalt
Sachbücher
Romane
Prima facie - Suzie Miller (Kjona Verlag 2024)
Und alle so still - Mareike Fallwickl (Rowohlt 2024)
Eine Tochter Harlems - Louise Meriwether (Rowohlt 2023)
Second-Class Citizen - Buchi Emecheta (Aufbau 2023)
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