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Am Anfang das Ende

"Der Sommer meiner Mutter" von Ulrich Woelk beginnt mit dem traurigen Ende. Weshalb es sich trotzdem lohnt, den Roman zu lesen, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

MINT & MALVE Buchtipp: Der Sommer meiner Mutter, Ulrich Woelk, C.H. Beck, 2019

Der erste Satz von der "Sommer meiner Mutter" hat es in sich:

"Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben." (S. 7)

Der Ich-Erzähler Tobias, schildert in der Folge, wie es zu diesem Suizid kam. Tobias, kurz Tobi, war damals 11 Jahre alt, lebte mit seinen Eltern am Stadtrand von Köln in einem eigenen Haus. Der Vater war Ingenieur, die Mutter Hausfrau, wie es sich für eine bürgerliche Kleinfamilie in den 1960er-Jahren gehörte. Ausserdem waren sie praktizierende Katholiken und hatten Angst vor dem Kommunismus. Tobias und seinen Vater verband die Faszination für die Raumfahrt und so verfolgten sie gemeinsam die verschiedenen Apollo-Missionen der Amerikaner, die im Sommer 1969 in der ersten Mondlandung münden sollten.

Die heile Welt von Tobi (und seiner Eltern) begann zu bröckeln, als die Familie Ahrens neue Nachbarn bekam. Die Leinhards waren so ziemlich das Gegenteil: Vater Wolf war Professor für Philosophie, Mutter Uschi arbeitete als Übersetzerin von Krimis aus dem Englischen und Tochter Rosa (12, 13 Jahre alt) war Tobias um einiges voraus, schon eine richtige Teenagerin. Die Leinhards setzten ihre Hoffnungen in den Kommunismus, demonstrierten gegen den Vietnamkrieg und Frau Leinhard kleidete sich modern im Stil der Hippies, in Jeans mit Schlag und gebatikten Tunikablusen.

Ein kleiner Schritt...

Sowohl die beiden Paare als auch Tobi und Rosa freunden sich an. Parallel zum Fortschreiten des Apollo-Programms, schreiten auch die Ereignisse in Tobis Leben voran. Während er im Windschatten von Rosa zum Teenager heranwächst, sich die erste Jeans kauft, neue Musik hört, Zugang zur Literatur findet, emanzipiert sich Tobis Mutter Eva Schritt für Schritt von ihrem kleinbürgerlichen, katholisch geprägten Milieu oder versucht es zumindest. Durch die Nachbarin ergattert sie sich ebenfalls einen Übersetzungsjob und scheint darin mehr und mehr aufzugehen, während sie ihre "häuslichen Pflichten" immer mehr vernachlässigt.

Die beiden Entwicklungsgeschichten von Mutter und Sohn werden ergänzt um das neu entstehende Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Ehepaaren, die sich übers Kreuz anfreunden. Zu welchem Höhepunkt sich das Ganze entwickelt, möchte ich natürlich nicht verraten. Das müsst ihr auf den knapp 200 Seiten selbst herausfinden.

Die Erzählstimme von Tobi ist zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig. Es ist schnell klar, dass hier nicht der 11-jährige Tobi spricht, sondern sein um viele Jahre gealtertes Ich. Trotzdem behält Woelk den naiven Blick des Kindes bei und reflektiert ihn selten. Das fand ich nicht immer ganz glaubwürdig. Umso länger beschäftigt hat mich der Suizid der Mutter und die Geschehnisse, die in etwa einem halben Jahr dazu geführt haben. Ulrich Woelk versteht es hervorragend, in seinem kurzen, aber dichten Roman die kleinbürgerliche Idylle am Stadtrand Kölns entstehen, innert Jahresfrist ins Trudeln zu bringen und schliesslich mit dem traurigen Ende in sich zusammen fallen zu lassen.

"Der Sommer meiner Mutter" stand übrigens wie "Winterbienen" von Norbert Scheuer auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019. Hat im Gegensatz zu Letzterem den Sprung auf die Shortlist aber nicht geschafft.

Fazit

Ulrich Woelk verknüpft in "Der Sommer meiner Mutter" unterhaltsam und doch tiefgründig eine Coming-of-Age-Geschichte mit der Emanzipation einer Ehefrau und Mutter. Geschickt verbindet er ausserdem die Geschehnisse mit der Zeitgeschichte von 1969 und lässt so die Welt von damals wieder auferstehen. Ein lesenswerter Roman mit tragischem Ende, das lange nachhallt.

PS: Wenn ihr noch eine andere Einschätzung hören wollt, abonniert den Podcast Feiste Bücher. In ihrem Podcast bespricht Silvi Feist jeden zweiten Dienstag ein Buch. Die Journalistin ist beim Magazin EMOTION für die Bücherseiten zuständig.

Die Fakten

Der Sommer meiner Mutter, Ulrich Woelk, C.H. Beck, 2019

Ulrich Woelk

C.H. Beck

Hardcover

189 Seiten

Erschienen am 25.01.2019

ISBN: 978-3-406-73449-6

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Buchtipp MINT & MALVE: Der Sommer meiner Mutter, Ulrich Woelk, C.H. Beck, 2019

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