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Gewässer im Ziplock

Dana Vowinckels Debütroman "Gewässer im Ziplock" gibt einen spannenden Einblick in jüdisches Leben in Deutschland und anderswo. Die 15-jährige Margarita begibt sich - eher unfreiwillig - auf die Spuren ihrer Familie in Berlin, Chicago und Jerusalem.


Gewässer im Ziplock - Dana Vowinckel (Suhrkamp nova 2023)

Margarita Fuchs verbringt jeden Sommer im Süden Chicagos bei ihren Grosseltern mütterlicherseits. Nun ist sie 15 Jahre alt und hat eigentlich so gar keinen Bock auf die laut schmatzenden Grosseltern, Sonntagseinkäufe und irgendwelche Summer-School-Kurse. Viel lieber wäre sie zuhause bei ihrer besten Freundin und ihrem Schwarm. Und auch bei ihrem Vater Avi.


"Die Großeltern lebten in einem Haus im Universitätsviertel auf der South Side von Chicago, das dreimal so groß war wie die Wohnung in Berlin und mindestens dreimal so still." / S. 10

Aus wechselnder Perspektive, aber immer in der dritten Person erzählt, erfahren wir von Margarita und Avi mehr über ihr aktuelles und früheres Leben. Avi ist in Jerusalem aufgewachsen, dann aber mit Margaritas Mutter Marsha nach Deutschland ausgewandert. Während es die Mutter im Land der Nazis nicht aushielt und die Familie verliess, als Margarita noch im Kindergarten war, blieb Avi als Kantor in Berlin, kümmerte sich alleine um Margarita.


Und zu dieser meist abwesenden Mutter, die sich für ein Forschungsstipendium gerade in Jerusalem aufhält, soll Margarita nun von Chicago aus weiterreisen. Avi und die Grosseltern hoffen wohl auf eine Annäherung zwischen Mutter und Tochter. Margarita ist wenig begeistert davon, ergibt sich aber dem Druck und fliegt.


"Und warum sollte ich plötzlich zu ihr fliegen wollen, wenn ich nicht mal weiß, wo sie wohnt. Wenn ich nicht mal weiß, auf welchem Kontinent sich meine Mutter nicht um mich kümmern kann, warum sollte ich dann dahin fliegen? Warum?" / S. 30

Schon bei der Ankunft in Jerusalem geht alles schief und eine spannungsgeladene, ja explosive Entwicklung der Mutter-Tochter-Beziehung ist vorprogrammiert.


"...doch das Deutsche, das Andere, das Dazwischen quoll an allen Ecken und Enden aus ihr heraus wie Kulturbauschaum." / S. 162

Neben der eigentlichen Romanhandlung, die sich innert weniger Wochen abspielt, erzählt uns Dana Vowinckel auch viel darüber, wie es ist, als Jude oder Jüdin in Deutschland zu leben. Wie sich das in Jerusalem anfühlt und wie in den USA und wie weit das Empfinden von Person zu Person auseinandergehen kann. Wie sich Marsha überhaupt nicht vorstellen kann, ausgerechnet in Deutschland zu leben, wie es für Margarita das Selbstverständlichste ist, weil sie dort geboren und aufgewachsen ist, und wie der nicht sehr streng gläubige, aber im Glauben doch sehr verwurzelte und gleichzeitig israelkritische Avi an Berlin hängt.


Diese Einblicke und Gedanken übers Jüdischsein, die Konfrontation mit Antisemitismus und einer immer rechteren israelischen Regierung machen den Roman für mich lesenswert. Nicht nur, aber erst recht vor dem Hintergrund des seit anfangs Oktober 2023 eskalierten Konflikts zwischen Israel und Gaza.


Wenig nachvollziehbar fand ich hingegen die innerfamiliären Streitigkeiten und v.a. das Schweigen und die Abwesenheit der Mutter. Auch die Erzählstimme und der Coming-of-Age-Aspekt aus der Perspektive der 15-jährigen Margarita haben mich nicht ganz überzeugt. In Kombination mit der Tatsache, dass Margarita keine wirkliche Entwicklung durchmacht (angesichts der kurzen Zeitspanne der Handlung auch nicht erstaunlich) und sich das Beziehungschaos nicht zu entwirren scheint, war mir der Roman stellenweise zu langatmig.


Fazit

"Gewässer im Ziplock" von Dana Vowinkel ist ein nachdenklich stimmendes Debüt mit spannenden Einblicken ins jüdische Leben der Gegenwart und einigen sprachlichen Perlen. Wer mit möglicherweise unsympathischen Protagonist*innen (zumindest mir war niemand nah) umgehen kann, sollte es auf jeden Fall einmal mit dem Buch versuchen.


Die Fakten

Dana Vowinckel

Suhrkamp nova

362 Seiten

Erschienen am 20.08.2023

Hardcover

ISBN: 978-3-518-47360-3




PS: Herzlichen Dank an den Suhrkamp Verlag für das digitale Rezensionsexemplar. Die Seitenangaben beziehen sich auf das E-Book und können entsprechend von der Printversion abweichen.


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