Moni heisst mein Pony - Spoken Word & Cartoons
Andrea Gerster und Lika Nüssli verbinden in "Moni heisst mein Pony" Spoken Word und Illustrationen. Das funktioniert erstaunlich gut. Nur lobende Worte gibt's von mir in diesem Fall trotzdem nicht.
Spoken Word in einem Buch? ist das nicht ein Widerspruch? Eigentlich wird Spoken Word ja live vorgetragen, ist Performance, wird begleitet von Gestik und Mimik, klingt, hat einen Sound und einen Beat. Zumindest Letzteres spürt man in Andrea Gersters Texten aber auch beim Lesen und wenn man sich die Texte dann noch selber oder anderen vorliest, kommen sie auch wieder zum Klingen. Die Texte sind kurz, stark rhythmisiert, spielen mit Wörtern, nutzen Wiederholungen, Alliterationen, Binnenreime.... Kurz: Andrea Gerster sprudelt sprachlich förmlich über, dass es eine wahre Freude ist.
Lika Nüsslis Schwarzweiss-Illustrationen mit Farbtupfern ergänzen die kurzen Texte. Sie bilden nicht einfach ab, was die Texte schon sagen, sondern liefern nochmals eigene Interpretationen des "Gesagten", ergänzen die Information, transportieren ihren eigenen Witz. So entsteht ein spannendes Wechselspiel zwischen Bild und Text.
Inhaltlich knüpft Andrea Gerster am Alltag von Kindern (oder Jugendlichen) an - oft wohl auch an ihrem eigenen, erinnerten Alltag. Etwa, wenn sie sich auf die Suche begibt nach dem Verbleib des Worts "oberaffentittengeil". Ja, wir sind alle froh, hat es sich irgendwo vergraben. ;-) Es geht auch um Schul- und Familienalltag, um Freundschaften und Verliebtsein, um Eifersucht, Haustiere und Spitznamen, um Ostergeschenke und Kaugummi im Haar. Mir gefällt auch, dass sie viele Schweizerdeutsche Begriffe und Wendungen eingebaut hat. Da ist die Rede von "fetzig" und "lässig", von "Herzli" und "Finken". Unkommentiert funktionieren also einige der Texte nur für ein Schweizer Publikum. Von mir aus hätten die Helvetismen sogar noch deutlicher sein dürfen.
"Fetzig? Kennt jemand von euch dieses Wort? Gibt es das heute noch? Es muss in der Zwischenzeit ziemlich alt sein. Mindestens so alt wie ich. Es geht vielleicht schon am Stock. Und ist Oma. Oma Fetzig."
Diskriminierungssensibel geht anders
Womit ich Mühe habe, ist mit der Reproduktion von Stereotypen - sowohl sexistischen als auch rassistischen. Rassistische sind indiskutabel und gehören nicht unwidersprochen in ein Buch, das sich speziell an Schüler*innen wendet. In diesem Fall geht es um die bildliche Darstellung einer Verkleidung als indigene Person und die textliche Stereotypisierung über einen abwertenden Namen sowie die klischierte Darstellung des Lebens in der Prärie.
Über Geschlechterstereotypen kann man noch diskutieren: Würden sie klar gebrochen oder so überspitzt, dass ihre Absurdität offensichtlich würde, sähe die Lage wieder anders aus. Das geschieht hier für meinen Geschmack aber zu wenig oder zu wenig offensichtlich - wenn etwa der "Mädchenkram" bemüht oder jemand als "so ein Mädchen!" beschimpft wird, jemand anderes als "schlampenblond". Ein paar weitere Dinge sind mir auch aufgestossen und zeugen insgesamt von einer zu tiefen Sensibilität gegenüber unterschiedlichen Diskriminierungsformen. Auch das Argument des Humors entschärft meiner Ansicht nach die Kritik nicht. Eher im Gegenteil: Durch die humoristische Darstellung wird der unsensible Umgang mit Sprache und die Reproduktion von Stereotypen noch bagetellisiert, so à la "Ich has ja nur luschtig gmeint.". Das ist dann nicht "es bitzli fräch", sondern immer noch diskriminierend.
Dass solche Themen, gerade im Kontext von Schule, von Peer Pressure u.ä., angesprochen und über ein solches Heft zum Aufhänger für eine eingehende Diskussion - zum Beispiel im Unterricht - werden, fände ich nicht schlecht, nur sollte es dann eben in kritischer Form geschehen und nicht auf Kosten der marginalisierten Gruppen. Dass sowas in einem Buch von einer Autorin vorkommt, die auch als Schreibcoach an Schulen unterwegs ist, verwundert mich umso mehr.
Nominiert für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis
Diese Besprechung ist der Auftakt zu einer Serie über die 5 nominierten Bücher für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2022. Er wird am 28. Mai im Rahmen der Solothurner Literaturtage verliehen. Getragen wird der Preis vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM und dem Schweizer Buchhänlder- und Verleger-Verband SBVV und den genannten Solothurner Literaturtagen. Er wird jährlich verliehen und ist mit 20'000.- dotiert.
Folgenden Auszug aus der Jurybegründung kann ich zwar bestätigen, insgesamt disqualifiziert sich das SJW-Heft aus meiner Sicht aber durch die genannten Kritikpunkte und kommt für den Preis nicht in Frage.
Die abwechslungsreichen, kurzen und kurzweiligen Texte bewegen sich nahe an der Alltags- und Erlebniswelt von Kindern und Jugendlichen, gekonnt und mit viel Fantasie verbinden sie das Mündliche mit dem Schriftlichen. Die Freude am Spiel mit der Sprache ist in jeder Zeile spürbar, die Illustrationen setzen treffende Akzente.
Schade, denn "Moni heisst mein Pony" von Andrea Gerster und Lika Nüssli hat durchaus Perlen zu bieten. Die Verbindung von Text und Bild funktioniert wie erwähnt gut, das Spiel mit den Wörtern und die Alltagsnähe vermögen Kinder direkt anzusprechen und können sie ebenso an Prosa- wie an Lyriktexte heranführen oder vielleicht auch neugierig machen, eine Spoken-Word-Künstler*in einmal live zu erleben und so in die darstellenden Künste einzutauchen. Das ist natürlich auch digital möglich - zum Beispiel mit dem Video von der Vernissage (ab Minute 40:00).
Die Fakten
Andrea Gerster (Text)
Lika Nüssli (Illustration) SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk
40 Seiten
Erschienen am 15.02.2021
Taschenbuch
ISBN: 978-3-7269-0236-0
Ab 9 Jahren
In Deutschland über die ISBN im lokalen Buchhandel ebenfalls bestellbar.
PS: Herzlichen Dank an das SJKM für die Rezensionsexemplare der 5 nominierten Bücher für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis.
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Mehr zum Schweizerischen Jugendschriftenwerk mit Tipps zu einer tollen Geschenkbox von Lorenz Pauli & Kathrin Schärer findet ihr in einem früheren Beitrag.
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