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Das grüne Auge

Habt ihr Lust auf ein Buch, das euch richtig fertig macht, aber trotzdem oder gerade deshalb so gut ist? Dann liegt ihr mit "Das grüne Auge" von Nathacha Appanah genau richtig.


Das grüne Auge - Nathacha Appanah (Lenos Verlag 2021)

Die französische Autorin Nathacha Appanah mit indischen Wurzeln, geboren auf Mauritius, nimmt uns mit auf Mayotte. Mayotte ist eine Insel im Archipel der Komoren und als einzige der fünf Inseln französisches Überseegebiet. Die Komoren befinden sich wiederum nordwestlich von Madagaskar.


Der unbedingte Kinderwunsch

Hier lebte Marie, die erste Erzählstimme des Romans "Das grüne Auge", mit ihrem Mann Chamsidine, beide arbeiteten als Krankenpfleger bzw. -pflegerin. Lebte, weil wir mit der Zeit merken, dass Marie aus dem Jenseits oder einer Art Zwischenreich zu uns spricht. Die Ehe blieb kinderlos und als Marie 31 war, verliess Chamsidine die Französin für eine andere Frau.


Auf Mayotte kommen täglich viele Flüchtende von den anderen Komoreninseln an und werden ins Krankenhaus gebracht. Einmal, als Marie gerade Dienst hat, ist darunter auch eine sehr junge Schwarze Frau mit ihrem Neugeborenen. Der kleine Junge hat ein braunes und ein grünes Auge, weshalb seine Mutter davon überzeugt ist, dass er von einem Dschinn besessen ist. Als Marie ein Fläschchen für das Baby holt, verschwindet die Frau. Marie ergreift die Chance und nimmt sich dem Jungen an. Sie nennt ihn Moïse und zwingt Chamsidine, die Vaterschaft für den Jungen anzuerkennen, im Tausch gegen die Scheidung.


Moïse wächst als Schwarzer Junge mit Marie ein Leben als Weisser. Er spricht ein perfektes Französisch, nicht Shimaore, die indigene Sprache von Mayotte. Er ist ein behütetes, fröhliches Kind, lebt mit Marie in einem schönen Haus auf Petite-Terre (der kleineren der zwei Inseln von Mayotte). Ihm wird vorgelesen und vorgesungen. Als Jugendlicher freundet er sich mit einem Illegalen an und als Marie von einem Tag auf den anderen stirbt, ist er völlig auf sich gestellt und das Unglück nimmt seinen Lauf.


Ein Leben zwischen Drogenhandel und Gewalt

Ich möchte nicht zu viel spoilern, aber Moïse gerät mitten ins Gang-Leben im Slum von Mayotte, der den Übernamen "Gaza" trägt. Er legt sich mit Bruce an, ebenfalls ein Schwarzer Junge, aber mit 15 schon Banden-Chef von Gaza. Sehr früh erzählt uns Nathacha Appanah aus Sicht von Moïse, weshalb er im Gefängnis gelandet ist und von hier rekapituliert sie die Geschehnisse aus unterschiedlichsten Perspektiven. Neben Moïse selber erzählen uns Bruce, der Polizist Olivier, Marie und Stéphane, eine Jugendarbeiter einer NGO, wie es so weit kommen konnte, wo Moïse doch dank seiner weissen, gebildeten Mutter so gute Chancen gehabt hätte, ein geordnetes Leben zu führen.


Sie erzählen jeweils aus der Ich-Perspektive, sehr direkt, temporeich, ungeschönt, teils brutal, mit rassistischen und sexistischen Begriffen (Triggerwarnung für BIPoC). Während Marie sich zwar sehr direkt, aber doch gewählt ausdrückt, ist Bruce' Sprache roher, folgt keinen grammatikalischen Regeln. Nathacha Appanah wirft uns mit ihrem Roman mitten hinein in die Aussichtslosigkeit eines Lebens im Elendsviertel, lässt uns in die rassistischen Abgründe zwischen Schwarz und Weiss, zwischen Franzosen und Französinnen auf der einen und Komoraner*innen und Illegalen auf der anderen Seite blicken, wirft uns in den Dreck des Slums, in den Rauch der Chemischen (mit chemischen Drogen versetzte Joints) und auf den Kampfplatz der Halbstarken.


So wirft sie zahlreiche Fragen auf: Was macht die eigene Identität aus? Wie weit bestimmt die Abstammung (oder auch die Hautfarbe) unser Leben vorher? Was können Erziehung und Bildung ausrichten? Was Entwicklungshilfe? Wie geht der globale Norden mit Menschen aus dem globalen Süden um?


"Ich fragte mich, ob er in Wirklichkeit nicht von vornherein geliefert gewesen war, dieser Junge, und mit ihm alle Jungen und Mädchen, die wie er am falschen Ort im falschen Moment zur Welt gekommen waren." (S. 205)

Fazit

Nathacha Appanah lässt einen in ihrem Roman "Das grüne Auge" verzweifeln ob dem Schicksal von Moïse und gleichzeitig ob der unfairen Welt voller Rassismus und Klassismus. Sie erzählt direkt, emotional und gewaltvoll vom Anrennen gegen etablierte Normen, rassistische Stereotype und ausbeuterische Machtverhältnisse. Dieser Roman lässt die Lesenden mit Narben zurück und das ist gut so.


Die Fakten

Nathacha Appanah

Yla M. von Dach (Übersetzung aus dem Französischen)

Lenos Basel

213 Seiten

Erschienen am 09.03.2021

Hardcover

ISBN: 978-3-03925-012-7



PS: Herzlichen Dank an den Lenos Verlag für das Rezensionsexemplar.

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