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Die Bagage

Monika Helfer erzählt mit ihrem Roman "Die Bagage" die fiktionalisierte Geschichte ihrer Grossmutter und damit auch ihrer eigenen Herkunft.


Die Bagage - Monika Helfer (Hanser Verlag 2020)

Es ist vor allem die Geschichte von Maria Moosbrugger, die Monika Helfer in "Die Bagage" in fiktionalisierter Form erzählt. Es ist aber auch die Geschichte von Grete, Marias Tochter, die im Ersten Weltkrieg geboren wurde und später Monika Helfers Mutter werden sollte. Und so erzählt die Autorin über drei Generationen hinweg eigentlich auch von sich oder zumindest von ihrer Herkunft.


Ein Leben am Rande

Diese Geschichte spinnt sie nicht chronologisch, sagen wir von der Hochzeit von Maria und Josef, über die Geburt von Grete, bis zu ihrer eigenen. Sondern sie springt immer wieder vor und zurück. Wir befinden uns hauptsächlich in der Zeit des Ersten Weltkriegs am Rande eines österreichischen Dorfes, wo Maria und Josef Moosbrugger mit ihren damals noch vier, später sieben Kindern lebten. Aber immer wieder (und zu Ende immer öfter) flicht Monika Helfer ein, wie es den Personen später - bis hinein in die Gegenwart - ergangen ist.


"Die Erinnerung muss als heilloses Durcheinander gesehen werden. Erst wenn man ein Drama daraus macht, herrscht Ordnung." (54)

Maria und Josef lebten also am Rande des Dorfes und sie lebten auch am Rande der Gesellschaft, waren arm und hatten nicht den besten Ruf. Josef wickelte irgendwelche Geschäftchen ab, von denen nicht einmal Maria Genaueres wusste. In Anlehnung an ihre Vorfahren, die Träger waren, also zur niedersten Berufsgattung gehörten, die es gab, nannte man sie nur "die Bagage". Ein Begriff, der auch heute noch negativ konnotiert und abwertend verwendet wird.


Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde nun Josef eingezogen, um in den italienischen Bergen für das Kaiserreich zu kämpfen. Seine Sorge, Frau und Kinder alleine zurücklassen zu müssen, war umso grösser, als seine Frau weitherum als die Schönste galt und zahlreiche Männer, darunter auch der Postadjunkt und der Bürgermeister, ein Auge auf sie geworfen hatten.


"Im hintersten Tal war es nicht günstig für eine Frau, schön zu sein. Das meinte sie. Über die Schönheit meiner Grossmutter wurde hinten im Tal noch bis über ihren Tod hinaus gesprochen." (41)

Und tatsächlich musste sich Maria gegen die Avancen der Männer wehren und war gleichzeitig vom Schutz und den Gaben des Bürgermeisters abhängig, um überhaupt genug zu Essen für ihre Kinder zu haben. Und diese Kinder mussten ihr beistehen, waren teils regelrecht ihr Schutzschild. Kinder, die nicht Kind sein durften.


Als Maria nach einer Weile offensichtlich wieder schwanger war, ging denn auch schnell das Gerücht, das Kind könne nicht von Josef sein, obwohl der sogar zweimal auf Heimaturlaub durfte. Das Kind ist Margarethe, kurz: Grete, Monika Helfers Mutter. Als Josef aus dem Krieg zurückkehrt, erst zwei Monate nach Kriegsende, interessiert er sich nicht für Grete. Er ignoriert sie, wird sie zeitlebens nie ansprechen.


Über drei Generationen

Spannend am Buch ist die Erzählstimme. Es ist Monika Helfer selbst, die da erzählt. Die Informationen hat sie meist von ihrer Tante Kathe (Katharina), die sie fast 100-jährig noch befragen konnte (vgl. Interview "5 Fragen an..." mit der Autorin). Die Tante kommt manchmal auch selbst zu Wort. Durch die Fiktionalisierung wird sie aber quasi zu einer allwissenden Erzählerin, die uns auch an den Gedanken und Gesprächen der Protagonist*innen teilhaben lässt. Gedanken und Gespräche, wie sie oder ihre Tante sie sich ausgemalt haben. Die Sprache ist einfach, schlicht und trifft die Leser*innen gerade dadurch direkt, wuchtig, unverblümt.


Monika Helfer zeichnet in "Die Bagage" ein eindrückliches Bild von einer Familie, die in Armut lebt und im Ersten Weltkrieg auch noch ohne den Ehemann und Vater auskommen muss. Gekonnt spinnt sie die Fäden zwischen der Grosseltern- und Elterngeneration und ihrer eigenen. Ja, sie wirft sogar noch einen Blick auf ihre eigenen Kinder und ihre Verbindungen in die Vergangenheit. Sie zeigt weniger intergenerationale Traumata auf, sondern wirft mehr einzelne Schlaglichter auf erstaunliche Parallelen. Besonders beeindruckt hat mich, welche Rolle die Frauen in dieser Geschichte spielen. Sie waren zwar gefangen in einem patriarchalen System, wurden unterdrückt, waren alleine nichts, scheinbar ohnmächtig. Und doch war gerade Maria unheimlich stark.


Was ich schlecht und unnötig finde, ist, dass gleich zweimal das I-Wort fällt. Gerade weil es in keiner Weise tatsächlich um die indigene Bevölkerung Amerikas geht, sondern lediglich als Vergleich und nicht mal in einer direkten Rede aus einer anderen Zeit eingesetzt wird, ist es sehr stereotyp und hätte ohne Verlust weggelassen oder ersetzt werden können.


Fazit

Monika Helfer erzählt in "Die Bagage" die Geschichte einer Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Geschichte ihrer eigenen Grossmutter. Auf rund 150 Seiten schafft sie aber nicht nur das, sondern zeichnet ein Bild einer ganzen Familie, einer besonderen Familie, die nichts Besonderes sein wollte. Sehr eindrücklich!


Übrigens: Die Geschichte von Monika Helfers Herkunft ist als Trilogie angelegt. "Vati" und "Löwenherz" sind ebenfalls bereits erschienen. Mit "Vati" war Monika Helfer 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert.


Die Fakten

Monika Helfer

Hanser Verlag

160 Seiten

Erschienen am 01.02.2020

Hardcover

ISBN: 978-3-446-26562-2



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