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Schlesenburg - das Romandebüt von Paul Bokowski

Paul Bokowski hat mit "Schlesenburg" seinen ersten Roman geschrieben. Ein autobiografisches Werk, das mich rundum überzeugt hat!


Schlesenburg - Paul Bokowski (btb Verlag 2022)

Nach den Kurzgeschichtenbänden "Alleine ist man weniger zusammen"*, "Hauptsache nichts mit Menschen"* und "Bitte nehmen Sie meine Hand da weg"* legt Paul Bokowski nun mit "Schlesenburg" seinen ersten Roman vor.

Ein persönlicher Roman mit Humor

Als sehr persönliches Buch "fernab aller Humorliteratur" kündigte mir Paul Bokowski sein Romandebüt an. Tja, Klamauk ist das bestimmt nicht, aber Humor steckt zum Glück dennoch ganz viel in den gut 300 Seiten. Paul Bokowskis Ich-Erzähler entführt uns in seine Kindheit in einem Sozialbaukomplex am Stadtrand irgendwo in Westdeutschland. "Schlesenburg" oder kurz "Burg" nannten sie die weisse Wohnbausiedlung mit 60 Wohneinheiten, in der fast nur schlesische Flüchtlinge lebten. Auch seine Eltern stammten aus Polen, waren in den 80er-Jahren in den Westen geflüchtet, der Sohn im Bauch der Mutter bereits mit im Zug.


Paul Bokowski erzählt ausschweifend, mit feinem Humor und ganz starken Bildern vom Aufwachsen in der Burg, von der brennenden Wohnung der Galówka, von den gemeinen Baranowski-Zwillingen, vom schönen Serkan, von Darius und dem neu zugezogenen Mädchen Apolonia, von Nachmittagen im Freibad und Expeditionen zum Bach.


"In unserem sonderbaren Duktus klingen wir wie geschäftige Zeitreisende, anachronistische Fremdlinge, in den schlesischen Urwäldern in flüssiges Bernstein gegossen, sauber konserviert und tausend Jahre später, hier, im rheinhessischen Oberland, herausgefräst." (S. 25)

Vielfältig verwobene Erzählstränge

In die Episoden der literarischen Gegenwart sind solche der Flucht seiner Eltern, der gescheiterten ersten Flucht und der geplanten zweiten Flucht von Onkel Staszek, Vaters Bruder, gewoben. Und die Anekdoten sind immer wieder durchsetzt von Betrachtungen rund um die eigene Identität als Hiergeborener mit Wurzeln im unbekannten Polen, ums Zurechtfinden verschiedener Generationen in der deutschen Gesellschaft, das Verbindunghalten in die alte Heimat und das Zusammenleben als migrierte Familie.


"Mutter vermisste ihre Eltern, Vater, etwas stiller, seinen Bruder, aber die meisten Kinder aus der Burg, die Hiergeborenen, mich oder Darius, hatte man von Anfang an sauber abgekapselt von unserer Herkunft, von allen, die hinter dem Eisernen Vorhang hockten, dass jedes Vermissen nur ein Theoretikum bleiben konnte, ein Konzept." (S. 136)

Für "Schlesenburg" sollte man Zeit mitbringen, langsam lesen, um richtig eintauchen zu können. Um die Wellen des Aufwachsens mit dem Ich-Erzähler zu durchkämmen, um Seite für Seite Schicht um Schicht des feinsäuberlich aufgetragenen Putzes wieder abzuschälen und hinter die Fassade zu blicken.


"Dass Mutter las, war ein kleines wohlgehütetes Geheimnis. Folglich wussten es alle." (S. 28)

Selbst ein Kind der 80er, habe ich viel aus meiner Kindheit wiedererkannt - Eisteegranulat! - und gedanklich in Fotoalben geblättert. Gleichzeitig habe ich mir Unbekanntes kennengelernt, neue Gedanken mitgedacht, Erlebnisse mitgefühlt. Eine Leseerfahrung, die ich nur allen ans Herz legen kann! Besonders, wenn ihr euch wundert, was die Dosen auf dem Bild zu suchen haben. ;-)


"Doch alles, was aus meinem Innersten als Erinnerung aufstieg, war die Erinnerung an das Bild. Eine doppelte Belichtung, die sich langsam wie ein Pegel von unten über meine Netzhaut schob, mehr und mehr mit dem verschmolz, was darauf abgebildet war, bis sich beides restlos überlappte." (S. 70)

Fazit

Paul Bokowski nähert sich in seinem ersten Roman "Schlesenburg" seiner Kindheit, seiner Familie und seiner Herkunft so vielschichtig, sprachgewaltig und feinsinnig an, dass man ewig weiterlesen könnte. Definitiv ein Highlight des Bücherjahrs, das auch der Longlist des Deutschen Buchpreises gut getan hätte!



Die Fakten

Paul Bokowski

btb Verlag

320 Seiten

Erschienen am 14.09.2022

Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN: 978-3-442-75940-8





PS: Herzlichen Dank an Paul Bokowski fürs Ans-Herz-Legen seines ersten Romans und die liebe Karte dazu. Und danke an den btb Verlag fürs Rezensionsexemplar!


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