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Wenn ich das gewusst hätte!

"Di schöni Fanny" von Pedro Lenz hat mich zum zweiten Mal in die Welt der Mundartliteratur entführt. Der Roman auf Schweizerdeutsch oder viel mehr Berndeutsch besticht weniger durch die Geschichte über einen erfolglosen Schriftsteller als vielmehr durch den Sog der Sprache.

Pedro Lenz: Di schöni Fanny, Cover, Cosmos Verlag

"Aber wenn i aues gwüsst hätt, won i hütt weiss, hätt is möglecherwiis nid gmacht." (zu deutsch etwa: Aber hätte ich alles gewusst, was ich heute weiss, hätte ich es möglicherweise nicht gemacht.) Der Hauptdarsteller und Ich-Erzähler Jackpot (oder bürgerlich: Frank Robeur) hält dies eingangs fest, als er davon erzählt, wie er bei seinem Freund und Künstler Louis geklingelt hat. In diesem Moment kommt die Geschichte ins Rollen, denn jetzt sieht er sie zum ersten Mal, die schöne Fanny. Und von da an geht sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Nach und nach erfahren wir, wie Jackpot lebt, welche Gedanken er sich so macht, treffen seine Künstlerfreunde und hoffen mit ihm, dass Fanny ihn auch bemerken und ihm ihr Herz schenken wird. Nur leider gibt es da noch einige andere Herren, die Fanny begehren. Und Fanny selbst? Die begehrt vor allem eines: ihre Freiheit.

Was mir an diesem Buch gefällt: Pedro Lenz wirft den Blick einmal mehr auf einen Menschen, der sich und seinen Weg zuerst noch finden muss, der meist in den Tag hinein lebt. Böse Zungen würden ihn wohl als Taugenichts - oder wie der Klappentext als Tagedieb - bezeichnen, der sich von seinem Bruder aushalten lässt und wohl mehr aus Mangel an Alternativen als aus wahrer Berufung zum Schriftsteller wird. Es ist spannend und amüsant, dem inneren Monolog von Jackpot zu folgen, die Welt und Fanny durch seine Augen zu sehen. Der lakonische Stil und die Überlegungen über banalste Alltagsdinge genauso wie die grossen Fragen im Leben ergeben eine gute Mischung. Passend dazu die Berner Mundart, gemütlich, sympathisch und trotz gedanklicher Zungenverrenkungen erstaunlich leichtfüssig. Ich bin auch ein Freund vom puritanischen Stil der Dialoge ohne Anführungs- und Schlusszeichen oder Einleitung der direkten Rede. Ebenfalls schön, dass Orte wie Zofingen und Basel oder die Galicia Bar in Olten vorkommen. Letztere gibt es tatsächlich, geführt wird sie notabene von Pedro Lenz' Freund und Schriftstellerkollegen Alex Capus. Schliesslich hat mir auch das offene Ende gefallen.

Was mich nicht ganz überzeugt hat: Die hochdeutschen Einschübe wirken wie Fremdkörper im Mundartbuch und unterbrechen den Lesefluss. Vertretbar finde ich, dass deutsche Protagonisten auch hochdeutsch sprechen, aber die hochdeutschen Zitate müssten nicht sein. Sie hätten ohne Not weggelassen oder durch schweizerdeutsche Aussprüche ersetzt werden können. Zudem überzeugt mich der Spannungsbogen nicht wirklich. Wenn ich den oben erwähnten Satz vom Anfang des Buches im Kopf habe beim Lesen, warte ich die ganze Zeit darauf, zu erfahren, weshalb Jackpot denn damals so anders hätte handeln sollen. Ohne das Ende verraten zu wollen: So dramatisch sind die Geschehnisse nun auch wieder nicht, dass der Protagonist sein Handeln vor dem ersten Zusammentreffen mit Fanny hinterfragen müsste. Schliesslich hatte das Buch einige Längen, obwohl es mit gut 180 Seiten nicht gerade lang ist.

Fazit

Nach der Lektüre von "Der Goalie bin ig" (Der Goalie bin ich, Kein & Aber pocket) war ich neugierig auf ein weiteres Mundartbuch aus der Feder von Pedro Lenz und es hat sich mit kleinen Einschränkungen gelohnt. Besonders faszinierend finde ich, wie Lenz es schafft, den Leser mit seiner Sprache sofort in die Geschichte zu ziehen, ihn wie auf Wellen durch den Text reiten zu lassen. Man hört praktisch die Melodie, den Takt, den Sound seiner Sprache und möchte nicht mehr aufhören zu lesen. Für alle, die sich noch nie an ein schweizerdeutsches Buch gewagt haben: Versucht es ruhig mit der schönen Fanny!

Die Fakten

Di schöni Fanny (deutsche Version "Die schöne Fanny" erscheint im November 2017 bei Kein & Aber)

Pedro Lenz

Cosmos Verlag

184 Seiten

Erschienen am 04.10.2016

ISBN: 978-3-305-00469-0

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