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Brown Girls

Daphne Palasi Andreades gibt Mädchen und Frauen of Color aus dem New Yorker Stadtteilt Queens mit ihrem Debütroman "Brown Girls" eine Stimme. Ob das funktioniert? Ihr erfahrt es in diesem Beitrag.


Brown Girls - Daphne Palasi Andreades (Luchterhand 2024)

Die Stimme, die Daphne Palasi Andreades, den "Brown Girls" verleiht, ist eine besondere, eine gemeinsame. Denn die Autorin hat ihren Debütroman komplett in Wir-Form geschrieben. Ein "Wir", das sämtliche Brown Girls von Queens in sich vereint, ob nun mit süd- oder mittelamerikanischen, indischen, türkischen, jamaikanischen oder anderen Wurzeln, ob bereits in den USA geboren oder mit den Eltern im Kindesalter zugewandert, ob strebsam und mit grossen Ambitionen oder genügsam auf die vorprogrammierte Mutterschaft hinlebend.


Diese Erzählstimme ist gezwungenermassen vielseitig und oft inkongruent, was spannend ist und ein so vielschichtiges Bild vom Aufwachsen von Mädchen of Color in Queens zeigt, dass es der Realität wohl recht nahe kommt und trotzdem gewisse Gemeinsamkeiten, universelle Herausforderungen von nicht-weissen Menschen in New York herausstreicht.


Doch diese kollektive Erzählstimme hatte für mich einen grossen Nachteil: Wir kommen den einzelnen Stimmen nicht nahe, einzelne Charaktere verschwinden hinter Palasi Andreades' Chor der "Brown Girls". Die Autorin dekliniert zwar quasi alle möglichen Lebensentwürfe mit ihren jeweiligen Stolpersteinen auf dem Weg zum American Dream (oder alternativen Pfaden der Erfüllung) durch, doch das barg für mich nicht viele neue spannende Einsichten und eine Bindung an Protagonist*innen war durch die Wir-Formulierung nicht möglich. Der Kampf mit Alltagsrassismus, mit einem an weissen Standards ausgerichteten Bildungssystem, Polizeiwesen, Strafverfolgungssystem, Wohnungsmarkt, mit patriarchalen innerfamiliären Strukturen und dysfunktionalen Beziehungen ist Gegenstand zahlreicher Bücher, deren Protagonist*innen mich viel unmittelbarer erreicht haben als das Kollektiv von Palasi Andreades.


"Selbst beim Gesang beherrschen wir die Sprache unserer Kolonisatoren. Unser Englisch: tadellos. Unsere Muttersprachen, wenn wir sie überhaupt gelernt haben, werden zu verkümmerten Muskeln, vage erinnerten Melodien." / S. 50

Auch die Sprache, die in der Presse allenthalben gelobt und aufgrund derer das Buch zum Rap-Song oder gar zur Hymne hochstilisiert wurde, hat mich zumindest in der deutschen Übersetzung von Cornelius Reiber nicht überzeugt. War nicht besonders neu, speziell oder rough, was auch immer man sich erhofft hätte. Und so kann ich leider nicht ganz in den allgemeinen Lobgesang einstimmen - um mal bei der Metapher zu bleiben.


Mich haben andere Coming-of-Age-Geschichten von Schwarzen Autorinnen wie Jacqueline Woodson und Louise Meriwether oder PoC-Autorinnen wie Jean Kyoung Frazier und Sandra Cisneros weit mehr überzeugt. Besonders Cisneros und Woodson erzählen auch recht fragmentarisch, haben einen ganz besonderen eigenen Sound und vermitteln einen Eindruck Schwarzer und Brauner Communitys in US-amerikanischen Grossstädten wie New York oder Chicago.


"Nein, wir sind die dankbaren Menschen mit brauner Haut. Danke, dass ihr die Länder unserer Vorfahren kolonisiert habt, Danke für die Kriege und Diktatoren! Wir sind so unendlich dankbar für eure zivilisierende Religion und die Visa! Danke, wirklich danke und noch mal danke." / S. 62

Nichtsdestotrotz habe ich "Brown Girls" gerne gelesen und mich gefreut, wenn ich typisch amerikanische Details (wie den Gang zu Goodwill) oder bekannte Narrative des American Dream und des von frühester Kindheit an zelebrierten Wettbewerbs entdeckt habe. Was mir ebenfalls sehr gut gefiel, ist, wie Daphne Palasi Andreades mit dem Finger auf die Schwachstellen des Systems, ewig reproduzierte Diskriminierungen und White Privilege, aber auch internalisierte Rassismen, patriarchale, cis-heteronormative und konservative Muster innerhalb der "Brown Community" legt und ordentlich Salz in diese Wunden streut. Von daher erhoffe ich mir in Zukunft noch einiges von dieser Autorin.


"Aber Jungs weinen nicht. Jungs weinen nicht. (Jungs schluchzen.) Bevor sie am nächsten Morgen das Haus verlassen und unsere Väter sie nach Wallkill, Ulster, Woodbourne, Mohawk, Bare Hill fahren, verabschieden wir uns mit einer Umarmung." / S. 94

(A.d.R: Wallkill, Ulster, Woodbourne, Mohawk und Bare Hill sind Gefängnisse.)



Fazit

"Brown Girls" von Daphne Palasi Andreades ist eine Art Bildungsroman auf kollektiver Ebene und damit durchaus vielschichtig, oft fatalistisch, aber auch mal hoffnungsfroh und witzig erzählt. Was dem Roman abgeht, sind wiedererkennbare, tiefgründige Charaktere, die mehr als plakative Identifikationsflächen oder schemenhafte Antiheld*innen wären.



Die Fakten

Daphne Palasi Andreades

Luchterhand (Penguin Random House)

Cornelius Reiber (Übersetzung aus dem amerikanischen English)

240 Seiten

Erschienen am 12.06.2024

Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN: 978-3-630-87677-1


PS: Herzlichen Dank an Luchterhand und an das Bloggerportal für das digitale Rezensionsexemplar.



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