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Das Haus in der Mango Street

Man könnte meinen, "Das Haus in der Mango Street" von Sandra Cisneros sei total veraltet. Stammt es doch im amerikanischen Original von 1984. Die Neuübersetzung bei Kampa zeigt aber, dass der Debütroman der mexikanisch-amerikanischen Schriftstellerin völlig zeitlos ist.


Das Haus in der Mango Street - Sandra Cisneros (Kampa 2020)

Sandra Cisneros wurde 1954 in Chicago geboren. Aufgewachsen ist die Tochter eines mexikanischen Vaters und einer mexikanisch-amerikanischen Mutter im Latinoviertel, in den "barrios". Und genau hier spielt auch ihr Debütroman "Das haus in der Mango Street".


Miniaturen zeichnen das Bild vom grossen Ganzen

Aus der Sicht von Esperanza, einem Mädchen auf dem Weg zur Frau, erfahren wir mehr über die titelgebende Mango Street. Denn hierher ist Esperanza vor kurzem mit ihrer Familie gezogen und wünscht sich eigentlich direkt wieder weg. Sehnt sich nach sozialem Aufstieg und Akzeptanz in der amerikanischen Gesellschaft. Wie die Autorin selbst ist Esperanza eine Latina. Sie und ihre Familie, das ganze Viertel muss sich mit Diskriminierungen und Alltagsrassismen auseinandersetzen. Sie leben quasi in einem Paralleluniversum, weit weg vom amerikanischen Traum. Dieser ist im Buch in Form des so herbeigesehnten Lottogewinns präsent - also für Esperanza und ihr Umfeld rein durch Glück, nicht durch Leistung zu erreichen.


"Esperanza. Ich habe ihren Namen geerbt, aber ich habe keine Lust, ihren Platz am Fenster zu erben." (S. 42)

In kurzen, präzisen und doch atmosphärischen Episoden blickt Esperanza auf die Bewohnerinnen und Bewohner ihrer Nachbarschaft. Da ist die böse Vermieterin Edna von nebenan. Da ist die traurige Mamacita von gegenüber, die nie raus geht und immer spanisches Radio hört. Da ist die alleinerziehende Teeniemutter Minerva. Da ist die frühreife Sally und da sind Tito und seine Freunde, die auf ihre Küsse aus sind. Mal humorvoll, mal melancholisch, mal kämpferisch, mal fatalistisch erzählt Cisneros von Einzelschicksalen und spricht damit grosse Themen an: Gewalt, Armut, die Rolle von Mädchen und Frauen, Sexismus, Migration und Heimat, Kindheit, Aufwachsen und Erwachsenwerden, Familie und mehr.


"Aber ich und Nenny, wir sind uns ähnlicher, als du denkst. Unser Lachen zum Beispiel. Nicht so ein schüchternes Eiskarrenklingelgekichere, sondern urplötzlich und überraschend wie ein Berg Geschirr, der runterknallt." (S. 49)

Bildungsroman und mehr

Durch den Blick der Ich-Erzählerin auf Nachbar*innen, Eltern und Geschwister erfahren wir mehr über Esperanza selbst. So möchte sie zum Beispiel sonntags nicht mehr mit den Eltern mit, wenn diese durch die Quartiere der Reichen fahren, um die Vorgärten anzuschauen, die der Vater für sie pflegt. Sie möchte aus dem heruntergekommenen, beengten, lauten Latinoviertel Chicagos ausbrechen und gleichzeitig schwingt in ihrer Stimme deutlich die Sozialkritik mit:


"Menschen, die auf Hügeln wohnen, schlafen so dicht bei den Sternen, dass sie all jene vergessen, die zu nah am Erdboden leben." (S. 128)

Esperanza möchte ein selbstbestimmtes Leben führen, sich nicht nur von den Männern im Umfeld, sondern auch von ihrer Familie und der schlechten finanziellen Lage emanzipieren. Die patriarchalen und diskriminierenden Strukturen, die ihr im Wege stehen, lassen sich in dem kurzen Roman nur erahnen.


Ein sprachliches Highlight

Neben den spannenden Einsichten in den Alltag einer jungen Frau und ihrer Nachbarschaft in den "barrios" von Chicago, hat mich an diesem Roman vor allem die Sprache fasziniert. Cisneros hat einen ganz eigenen Stil mit eindrücklichen Metaphern, mit Wortkreationen, die sofort Assoziationen auslösen und nicht gewollt oder künstlich wirken, mit zwar opulenten Bildern, aber doch präziser, einfacher Sprache. Und in allem schwingt viel Witz und Scharfsinn mit.


Dem Roman vorangestellt ist ein ausführliches Vorwort von Sandra Cisneros selbst. Darin gibt sie einen Einblick in ihr Leben und v.a. ihr Schreiben. Nimmt zum Beispiel Bezug auf Virginia Woolfs "Ein Zimmer für sich allein" (ebenfalls 2020 bei Kampa als cooles Pocket erschienen) und erklärt ihre Schreibsituation. Sie erklärt auch einige Sätze oder Episoden, die dann im Roman wieder auftauchen. So auch eins meiner liebsten Zitate:


"Man kann nie zu viel Himmel haben." (S. 64)

Was es damit auf sich hat, müsst ihr selber herausfinden!


Fazit

Sandra Cisneros und ihr Roman "Das Haus in der Mango Street" sind für mich eine echte Neuentdeckung. Der Roman ist wie erwähnt nicht neu, sondern stammt von 1984. Aber er ist sowohl, was die Geschichte betrifft, als auch sprachlich zeitlos. Ich hoffe, wir können bei Kampa bald noch mehr von dieser starken weiblichen, amerikanischen Stimme mit lateinamerikanischem Background lesen. Von mir gibt's eine unbedingte Leseempfehlung!



Die Fakten

Sandra Cisneros

Gerd Burger (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch)

Kampa Verlag

160 Seiten

Erschienen am 22.10.2020 (englische Erstausgabe: 1984)

Leinen

ISBN: 978-3-311-24004-4



PS: Herzlichen Dank an den Kampa Verlag für das Rezensionsexemplar.


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