Simone de Beauvoir - Ich möchte vom Leben alles
Sich einer bedeutenden Denkerin des 20. Jahrhunderts und des Feminismus mit einer Graphic Novel annähern? Das geht dank Julia Korbik und Julia Bernhard mit "Simone de Beauvoir - Ich möchte vom Leben alles".
Wir treten gemeinsam mit Deirdre Bair, einer amerikanischen Biographin, in Simone de Beauvoirs Leben. Oder besser gesagt, in ihr Wohnzimmer, wo unter anderem ein Abdruck von Sartres Händen zu finden ist. Deirdre Bair hat neben einer preisgekrönten Biographie von Samuel Beckett tatsächlich auch eine von Simone de Beauvoir (Godmann 1990) geschrieben. In der Graphic Novel spielen wir nun sozusagen Mäuschen bei ihrem Gespräch bzw. ihren Gesprächen ab 1981 über Simone de Beauvoirs Leben, Wirken und Lieben.
Ein toller Kniff von Autorin Julia Korbik und Illustratorin Julia Bernhard, um aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Leben dieser aussergewöhnlichen Persönlichkeit zurückzublicken und uns gefühlt richtig nah heranzubringen - obwohl sie mit Deirdre Bair seltsam auf Distanz bleibt, geradezu spröde wirkt in den Gesprächsszenen. Simone schaut ganz kurz zurück auf ihre Kindheit - in der vor allem der soziale Abstieg der Familie einschneidend war. Dann gibt es einen Sprung zu ihrer Jugendzeit im Paris der 1920er-Jahre, wo sich bereits abzeichnet, dass Simone einen für damalige Verhältnisse unkonventionellen Lebensweg einschlagen wird.
"Jetzt, wo es keinen Gott mehr für mich gibt, werde ich ein Werk verfassen, mich selbst wiedererschaffen und mein Dasein rechtfertigen." (S. 39)
Sie möchte nicht heiraten, sondern auf eigenen Beinen stehen, unabhängig sein, sich ausprobieren und sich selbst definieren - auch in ihrer Rolle als Frau. Sie studiert Philosophie auf Lehramt und lernt an der Sorbonne unter anderem auch Jean-Paul Sartre kennen. Das Studium schliesst sie als Zweitbeste hinter Sartre ab. In ihm hat sie einen ebenbürtigen oder sogar überlegenen Partner gefunden. Mit ihm geht sie einen vorerst zweijährigen Pakt ein, dass sie sich treu sind, aber gleichzeitig auch andere Beziehungen eingehen (siehe Bild).
"Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich geistig von einem anderen beherrscht." (S. 85)
Copyright: Julia Bernhard - "Simone de Beauvoir - Ich möchte vom Leben alles".
Die obigen Bilder sind nicht ganz repräsentativ für den Illustrationsstil von Julia Bernhard. Die meisten Seiten enthalten noch mehr Senfgelb oder Ocker in unterschiedlichen Schattierungen. Ein Blick hinein lohnt sich also! Mit ihren Zeichnungen ergänzt sie die Ebene der Dialoge ganz wunderbar und mit Augenzwinkern, wenn sich zum Beispiel im oben abgebildeten Dialog zur Beziehung zwischen Sartre und de Beauvoir auf der Bildebene ein zweiter Handlungsstrang mit Tauben, Hunden und Statuen in der Hauptrolle entspinnt.
In unterhaltsamen, manchmal auch witzigen Episoden mit vielen Dialogen erfahren wir so mehr darüber, wie Simone de Beauvoir zu einer der wichtigsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts wurde - Existenzialistin, Feministin. Wie sie mit "Le deuxième sexe" ("Das andere Geschlecht"), aber auch mit ihren Romanen und Essays für Furore bzw. handfeste Skandale sorgte. Und wie sie in den 70er-Jahren zu einer der Vorkämpferinnen für die Legalisierung der Abtreibung in Frankreich wurde.
Die Graphic Novel funktioniert in sich gut, gibt einen guten Einblick und ein Gefühl von der Person Simone de Beauvoir. Simone de Beauvoirs Leben und auch ihr Werk lässt sich damit aber doch nur anreissen. Für mich war es sehr hilfreich, dank "Oh Simone!" - ebenfalls von Julia Korbik - bereits mehr über sie zu wissen (siehe Kurzvorstellung in diesem Sammelbeitrag). Wer also mit der Graphic Novel einsteigt, dem kann ich das Sachbuch nur wärmstens als Ergänzung und Vertiefung empfehlen.
Und wer gerne sein Kind auch schon mal auf Simone-de-Beauvoir-Pfade lenken möchte, dem sei die Kinderbiographie aus der Reihe "Little People, Big Dreams" empfohlen.
Fazit
"Simone de Beauvoir - Ich möchte vom Leben alles" von Julia Korbik und Julia Bernhard ist ein wunderbares Porträt der grossen französischen Denkerin. Mit Bild und Wort dieser Graphic Novel tauchen wir ein ins Paris des 20. Jahrhunderts, wo eine Frau ihren eigenen Weg geht, im Frausein, im Denken, im Widerstand und in der Liebe. Meine philosophisch-feministische Leseempfehlung!
Die Fakten
Julia Korbik (Text)
Julia Bernhard (Illustration)
Rowohlt Verlag
224 Seiten
Erschienen am 12.06.2023
Hardcover
ISBN: 978-3-498-00360-9
Ab 14 Jahren
PS: Herzlichen Dank an den Rowohlt Verlag für das digitale Rezensionsexemplar und die zur Verfügung gestellten Bilder.
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