top of page

Unsere Grube - ein Bilderbuch zum freien Spiel

Die Schüler*innen im Bilderbuch "Unsere Grube" von Emma Adbåge haben Glück: Sie haben eine tolle Grube zum Spielen. Doch die Grube ist den Erwachsenen ein Dorn im Auge.


Unsere Grube - Emma Adbåge (Beltz & Gelberg 2021)

Habt ihr in eurer Kindheit auch am liebsten an geheimen, wilden, gefährlichen, vielleicht sogar verbotenen Orten gespielt? Ich erinnere mich an zehn, zwanzig solche Plätze, die wir als Kinder geliebt haben. Vom nahegelegenen Sumpf, über ungenutzte Schuppen und die Mülldeponie, bis zu leerstehenden Häusern. Zumindest zum Teil entsprachen diese "Spielplätze" wohl so gar nicht den Vorstellungen unserer Eltern und hätten bestimmt auch nicht die pädagogischen Anforderungen unserer Lehrer*innen erfüllt.


Es braucht nicht viel zum freien Spiel!

"Unsere Grube" der schwedischen Illustratorin Emma Adbåge hat mich deshalb sofort angesprochen. Die Ich-Erzählerin nimmt uns darin mit in die grosse Grube hinter der Turnhalle. Die Kinder lieben sie. Es gibt Steine, Kies, Lehm, Äste, Wurzeln, Unkraut und Baumstümpfe in der Grube und das reicht den Kindern völlig aus. Die Grube ist ihr liebster Spielplatz und die Naturmaterialien ihr liebstes Spielzeug. Damit und mit ihrer Fantasie können sie alles spielen:


"Bärenmama, Hütte, Verstecken, Kiosk - alles!"

Die Kinder können sich körperlich austoben, lassen ihrer Fantasie freien Lauf, entwickeln immer wieder neue Spiele, stellen sich selbst vor neue Herausforderungen, gestalten die Grube nach ihren Vorstellungen und erleben sich so selbstbestimmt und selbstwirksam.


Die Erwachsenen wissen es besser

Doch den Erwachsenen passt die Grube nicht. Sie halten sie für viel zu gefährlich. Die Kinder versuchen es noch mit guten Argumenten, dass zum Beispiel beim Sprung von der Sprossenwand. Und auch wenn Frau Erickson meint:


"Gleich passiert etwas. Gleich hat jemand eine Platzwunde!"

Bisher ist nichts dergleichen geschehen. Doch dann stolpert Vibeke - auf dem Weg in die Grube, aber nicht in der Grube! - über ihren Schnürsenkel. Für die Lehrer*innen Grund genug, die Grube zu verbieten. Ja, sie lassen sie sogar zuschütten! Weshalb sie bei der Aktion die Rechnung ohne die Kinder gemacht haben, erfahrt ihr natürlich im Bilderbuch von Emma Adbåge.


Ein Bilderbuch gegen den Adultismus

Ich bin begeistert vom Bilderbuch der Schwedin, das leider bisher etwas unterging in der Flut an Neuerscheinungen. Es erzählt eine einfache Geschichte aus Kinderperspektive, die sowohl Kinder als auch wir Erwachsene so gut nachvollziehen können. Wir spüren sofort, wie frei und abenteuerlich sich das Spiel in der Grube anfühlen muss und wie ohnmächtig die Kinder dem Urteil der übervorsichtigen Erwachsenen ausgesetzt sind. Beim kleinsten Anlass nutzen Letztere ihre Macht in ihrem Sinne (und ohne echten Grund) aus, setzen ihren Willen durch und beschränken die Freiheit der Kinder.


Emma Adbåges Kinderbuch kann so auch als Plädoyer gegen Paternalismus und Adultismus gelesen werden. Denn eigentlich haben die Kinder recht, die Grube ist nicht gefährlicher als der Alltag eben ist. Vielleicht hätten das die Erwachsenen sogar verstanden, wenn sie den Kindern wirklich zugehört hätten. Dabei gelingt es der Autorin, nicht einfach den Mahnfinger der Kinder durchs Buch zu schwingen, sondern die vorlesenden Erwachsenen subtil und mit Humor zum Nachdenken anzuregen.



Neben der Erzählung begeistern mich auch die Illustrationen von Emma Adbåge. Passend zur Grube sind sie grösstenteils in Erdfarben gehalten. Die klischeefreien Kleider der Kinder setzen farbliche Akzente. Über verschiedene Hauttöne, Frisuren und Haarfarben kommt eine gewisse Vielfalt ins Spiel. Ansonsten würde ich den Stil mit den Bleistiftkonturen als etwas anarchistisch bezeichnen. Er erinnert an einfache Kinderzeichnungen, was thematisch ebenfalls gut passt. Vor Blut schreckt die Illustratorin nicht zurück. Die arme Vibeke kämpft sich seitenweise mit blutiger Nase durchs Buch. Zumindest meine Kinder lieben den (noch kindgerechten) Touch Splatter (gibt's auch bei Pija Lindenbaum "Wir müssen zur Arbeit").


Fazit

"Unsere Grube" von Emma Adbåge ist ein Bilderbuch über herrlich selbstbestimmte Kinder, die noch gerne im Dreck wühlen, Steine schichten und Hänge hinaufklettern. Die Erwachsenen tun ihr Bestes, um ihre Vorstellungen von sicherem und sinnvollem Spiel durchzusetzen. Doch da haben sie die Rechnung ohne die Kinder gemacht - zum Glück! Ein Bilderbuch für abenteuerlustige, freiheitsliebende Kinder und ihre Eltern, die sich an ihre eigene Kindheit erinnern (sollten)! Kurz: ein pädagogisch wertvolles Bilderbuch für Helikoptereltern. ;-)


Übrigens: Das Bilderbuch ist für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2022 in der Kategorie Bilderbuch nominiert.


Die Fakten

Emma Adbåge (Text + Illustration)

Friederike Buchinger (Übersetzung aus dem Schwedischen)

Beltz & Gelberg

34 Seiten

Erschienen am 18.08.2021

Hardcover

ISBN: 978-3-407-75495-0

Ab 4 Jahren



PS: Herzlichen Dank an den Beltz & Gelberg Verlag für das Rezensionsexemplar.


* Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!

NEUE BEITRÄGE

BLOG PER E-MAIL ABONNIEREN

bottom of page