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Ein bisschen Wahnsinn muss sein

Weshalb ich diese Buchbesprechung fast nicht schreiben konnte und wieso ein bisschen Wahnsinn vielleicht ganz gut tut, erfahrt ihr in diesem Beitrag über "Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte" von Dita Zipfel, mit Illustrationen von Rán Flygenring. Eins vorneweg: Das Buch ist irrsinnig gut!

MINT & MALVE Buchtipp: Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte, Dita Zipfel, Rán Flygenring, Hanser, 2019

Okay, sorry, das Wortspiel musste sein. Denn es ist auch nichts als die Wahrheit. Wobei man sich nach der Lektüre von "Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte" wohl öfter überlegt, was nun wahr ist und was nicht. Aber beginnen wir mal bei der Geschichte.

Vom Hundesitter zur Kochbuchautorin

Lucie Schmurrer braucht unbedingt einen Job, einen der so richtig die Kasse klingeln lässt. Sie möchte nämlich mit ihren 13 Jahren schon von zuhause ausziehen und bei Bernie (Bernardine, Ex-Freundin von Lucies Mutter) in Berlin einziehen. Grund dafür ist "der Michi", der nervige Freund ihrer Mutter, der gerne Walgesang lauscht, seine Mitmenschen ungefragt mit Liebe, Achtsamkeit und Empathie überschüttet und mit gut gemeinten, aber schlechten Sprüchen beglückt.

Da scheint Lucie mit dem sehr gut bezahlten Hundesitter-Job bei Herrn Klinge den Jackpot geknackt zu haben (mit Schweigegeld bringt der 22 Euro pro Stunde). Es stellt sich allerdings heraus, dass der Hund nicht mehr lebt und Herr Klinge - der Typ "Adventurer" mit Multifunktionskleidung in Grün und 1'000 Taschen - ist... naja, sagen wir es so: Er ist etwas seltsam. Er ist zwar uralt (Dita Zipfel meint, so 186 Jahre), aber seine Reaktionen sind fast schneller als das Licht und er leidet unter dezentem Verfolgungswahn. Trotz anfänglicher Bedenken stellt er Lucie, die er nur "Mädchen" nennt, ein. Statt Hundesitterin ist sie nun seine persönliche Sekretärin und soll seine mehr als komischen Rezepte für einen Liebestrank aus Drachenherzen (Tomaten) und Feenzähnen (Mais) oder Ghulacamole zu einem Kochbuch verdichten. Oh, Entschuldigung, es ist natürlich viel mehr als das. Herr Klinge nennt es:

"den Schlüssel für das Tor zur Torheit, den Dietrich zu dem Buch mit den sieben Siegeln! ... ein Manifest der Möglichkeiten!". (S. 23)

Wie auch immer. Lucie ist zwar äusserst skeptisch, ob es die Fabelwesen, die sich Herr Klinge so lebhaft vorstellt, gibt und ob sich die Schlinge (welche Schlinge das auch immer sein soll) tatsächlich zuzieht, aber den Liebestrank könnte man ja trotzdem mal ausprobieren. Zum Beispiel an Marvin. Lucie findet Marvin jetzt nicht wirklich gut, aber er gilt halt als coolster Junge der Schule, deshalb wählt sie ihn zum Zielobjekt. Die Sache läuft dezent aus dem Ruder, aber zum Glück gibt es noch Leo. Er versteht ganz schön viel vom Wahnsinn. Mehr will ich hier nicht verraten. Das müsst ihr selbst herausfinden.

"Ich mache mit, egal ob er verrückt ist oder nicht. Was er höchstwahrscheinlich ist. Aber auch für Verrückte ist es schön, wenn irgendeiner einfach mitmacht." (S. 75)

Vom Erwachsenwerden, von Familienproblemen und vom Wahnsinn

Lucie steckt mitten zwischen Kindheit und Erwachsensein. Sie sucht ihren Platz in der Familie, im Freundeskreis (den sie nicht wirklich hat) und muss sich auch noch mit den Veränderungen auseinandersetzen, die das Erwachsenwerden so mit sich bringt. Stichwort Achselhaare! Gleichzeitig macht sie sich auch noch Gedanken über Herrn Klinge und ob seine Art der Weltsicht nun total wahnsinnig ist oder vielleicht doch ihre Berechtigung hat - zumindest ein ganz kleines Bisschen?

"Als Erwachsener kann man Regeln einfach erfinden und verbiegen, Ausnahmen bestimmen und Widersprüche ignorieren. Ergebnis meiner Studien. Beweissubjekte: der Michi, die Haarklammerfrau, Klinge." (S. 65)

Lucie ist richtig cool, gewinnt jede Menge schlaue Erkenntnisse, hält den Finger auf Ungerechtigkeiten (wieso sind eigentlich Rasierer für Frauen teurer als die für Männer?!), fühlt sich in ganz unterschiedliche Menschen ein (bei "der Michi" ist das echt schwierig!). Und an all dem lässt uns Autorin Dita Zipfel gewissermassen live und in Farbe teilhaben, einerseits durch den inneren Monolog der Ich-Erzählerin Lucie und andererseits durch die Illustrationen von Rán Flygenring. Die Illustrationen fügen sich wunderbar in den Text ein. Sie bebildern nicht einfach, was wir eh lesen, sondern sind Teil der Erzählung, bringen weitere Details ins Spiel, verdeutlichen Lucies Überlegungen, sind Listen, Skizzen, kleine Exkurse (z.B. über die verzwickte Sache mit der Vulva).

Und genau da liegt das Problem. Nicht mit dem Buch, sondern mit der Besprechung hier. Kaum schlage ich eine Seite auf, lese und schaue ich mich auch schon wieder fest und möchte am liebsten gleich das ganze Buch nochmals lesen und nochmal Neues entdecken, Bekanntes nochmal anders lesen und mich einmal mehr weglachen. Ich hoffe sehr, dass der Wahnsinn bald weitergeht!

Dita Zipfel schreibt richtig witzig, mit 1'000 lustigen Ideen und klugen Gedanken. Durch die Ich-Perspektive von Lucie sind wir richtig nah dran. Es hat einige Sprünge drin, Dinge, die nicht ganz auserzählt sind. So ist das Buch auch nicht leicht zu lesen und die Altersempfehlung ist mit 12 Jahren bestimmt gut gewählt.

Fazit

Mit Lucie hat Dita Zipfel in "Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte" eine richtig coole Protagonistin geschaffen, die sich mit viel Verständnis, schlauen Gedanken und noch mehr Witz durch das schwierige Leben einer 13-jährigen Jugendlichen schlägt und uns nebenbei ganz schön viel beibringt über Wahnsinn, Mitgefühl, Familienleben, Freundschaft und einiges mehr! Der Jugendroman ist obendrein fantastisch illustriert von Rán Flygenring. Er sollte unter keinem Weihnachtsbaum fehlen. Oder wenn es dafür zu spät ist, verschiebt einfach Weihnachten oder setzt die Geldgeschenke von Omas und Onkels schlau ein!

Die Fakten

Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte, Dita Zipfel, Rán Flygenring, Hanser, 2019

Dita Zipfel (Text)

Rán Flygenring (Illustration)

Hanser Verlag

208 Seiten

Erschienen am 19.08.2019

ISBN: 978-3-446-26444-1

Ab 12 Jahren

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Buchtipp MINT & MALVE: Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte, Dita Zipfel, Rán Flygenring, Hanser, 2019

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