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Das Meer der Libellen

Im Sommer lese ich meist einen dicken Wälzer. Dieses Jahr fiel die Wahl auf Yvonne Adhiambo Owuor und ihren Roman "Das Meer der Libellen".


Das Meer der Libellen - Yvonne Adhiambo Owuor (Dumont 2020)

Marina Nordbreze veranstaltet seit einigen Jahren immer im Juli und August das #dickebüchercamp auf Instagram. Das nehme ich jeweils zum Anlass, einen dicken Schinken vom Stapel ungelesener Bücher zu befreien.


Dieses Jahr habe ich mich für "Das Meer der Libellen" der kenianischen Autorin Yvonne Adhiambo Owuor entschieden. Es ist ihr zweiter Roman. Ihr Debütroman "Der Ort, an dem die Reise endet" erschien 2016 ebenfalls bei Dumont.


Eine Insel - verbunden mit der ganzen Welt

Das Library Journal sagt über den Roman, er sei "Eine Mischung aus eindringlicher Comig-of-Age-Story, verführerischer Liebesgeschichte und faszinierendem historischen Roman". Das trifft es ganz gut.


Im Mittelpunkt des Buches steht Ayaana - zu Beginn ein 7-jähriges Mädchen. Sie lebt mit ihrer Mutter Munira auf Pate, einer kleinen Insel vor der Küste Kenias, die zum Lamu-Archipel gehört. Eine Insel im Indischen Ozean, die von Händlern und Seefahrern seit Jahrhunderten besucht wird, ein Mikrokosmos, der doch immer wieder und in vielfältiger Weise vom Weltgeschehen beeinflusst wird.


Munira wurde von ihrer Familie verstossen, weil sie mit Ayaana eine uneheliche Tochter bekam, für die muslimische Familie ein grosser Verrat. Auch viele der Inselbewohner*innen meiden Munira und ihre Tochter, das Trauma und Stigma des Verstossenwerdens wird so an Ayaana weitergegeben. Sie findet sehr schwer Anschluss, wird von Lehrern nicht unterstützt, obwohl sie eine gute Schülerin ist und ist auf der Suche nach ihrem Ich und ihren Wurzeln, v.a. nach ihrem Vater, den sie nicht kennt.


Im Verlauf der Geschichte begleiten wir Ayaana beim Aufwachsen und ihrer Suche nach einer Heimat, einem Zuhause, nach Zugehörigkeit und Liebe, sowohl die der Mutter, die eines abwesenden und eines selbst ausgewählten Vaters als auch die zu einem Mann. Eine grosse Rolle spielt dabei das Meer. Ayaana hat ein besonderes Verhältnis zum Wasser, zum Meer, zu den Gezeiten. Und eines Tages macht sie sich über das Meer auf zu einer Reise nach China, eine Reise, die ihr Leben verändern wird. Weshalb gerade China? Weil Ayaana scheinbar chinesische Vorfahren hat und zu Ehren dieser Vorfahren vom chinesischen Staat ein Stipendium erhält. In ihrem Fall ist das eine willkommene Gelegenheit zum Ausbruch aus der verfahrenen Situation auf Pate und vielleicht ihre grosse Chance, ihr Ich und eine Heimat zu finden.


Nicht erst mit dieser Reise bringt Yvonne Adhiambo Owuor die Globalisierung oder zumindest weltumspannende Zusammenhänge ins Spiel. Die Autorin webt ein ganzes Netz von Verbindungen zwischen der kleinen Insel Pate, ihren Bewohner*innen und der grossen weiten Welt und der Weltgeschichte. Seehfahrer unterschiedlichster Herkunft spielen im Buch immer wieder eine Rolle. Suleiman, ein Schulfreund von Ayaana, verfällt dem Islamismus und schliesst sich dem Islamischen Staat an. Muniras neuer Mann Ziriyab geriet im Jemen einst unschuldig unter Terrorverdacht und ist auch auf Pate nicht sicher. Und Ayaana selbst begibt sich unwissentlich in den Dunstkreis von Menschenhändlern und damit in grosse Gefahr. Auch der Umgang Kenias mit der Insel Pate wird immer wieder zum Thema, 9/11 und der nachfolgende Krieg gegen den Terror spielen ebenso eine Rolle wie der Tsunami von 2004.


Das Netz an Verbindungen ist natürlich noch viel feiner gewoben, aber ich kann aus Spoilergründen nicht zu viel verraten. Dafür müsst ihr den Roman selber lesen.


Opulente Erzählkunst

Yvonne Adhiambo Owuor erzählt die Geschichte in der dritten Person und so nehmen wir mal die Perspektive von Aayana, mal die ihrer Mutter Munira, mal die ihres Wahlvaters Muhidin und weiterer Personen ein. Die Autorin hat eine sehr bildhafte Sprache, sehr metaphorisch, sehr assoziativ. Für meinen Geschmack ist das Ganze etwas zu opulent, die Bilder manchmal auch etwas schief, aber das kann anderen Leser*innen natürlich gut gefallen.


"Jahre später, als sie [Ayaana, a.d.R.] auf ein anderes Meer hinausblickte, fragte sie sich, ob sich das Schicksal nicht eines Rosenblütenblattes bedient hatte, das aus der Hand eines Fremden in ihre fiel." (S. 147)

Durch den regelmässigen Perspektivwechsel und relativ kurze, manchmal kürzeste, vignettenartige Kapitel wird es fast nie langweilig, auch wenn aus meiner Sicht schon noch Kürzungspotenzial vorhanden gewesen wäre. Nicht alles hat sich mir erschlossen, einiges bleibt auch eher kryptisch, nicht alles wird auserzählt.


Fazit

"Das Meer der Libellen" von Yvonne Adhiambo Owuor ist ein opulenter, mit wenigen Abstrichen spannender Roman über ein Mädchen und später eine junge Frau auf der Suche nach ihrem Platz auf der Welt. Geschickt verknüpft die kenianische Autorin das Leben der Protagonistin und den Mikrokosmos von Pate, einer Insel vor Kenia, mit dem Weltgeschehen. Das Meer bleibt dabei immer verbindendes Element. Ein Roman, für alle, die gerne tief eintauchen in eine Entwicklungsgeschichte mit besonderer Atmosphäre.



Die Fakten

Yvonne Adhiambo Owuor

Simone Jakob (Übersetzung aus dem Englischen)

Dumont

608 Seiten

Erschienen am 22.09.2020

Hardcover

ISBN: 978-3-8321-8114-7




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