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Deutscher Buchpreis: Drei Shortlist-Titel unter der Lupe

Martina Hefter, Ronya Othmann und Maren Kames stehen mit ihren Romanen auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2024. Ich habe sie gelesen (zumindest teilweise) und verrate euch, ob ich einem der drei den Sieg des Deutschen Buchpreises zutraue.


Deutscher Buchpreis - Auswahl aus der Longlist 2024

Bereits anfangs Jahr gelesen habe ich "Lichtungen" von Iris Wolff. Das halte ich für sehr preiswürdig und drücke der Autorin beide Daumen! Nur auf die Longlist geschafft hat es das von mir ebenfalls sehr geliebte "Iowa" von Stefanie Sargnagel.



Hey guten Morgen, wie geht es dir? - Martina Hefter (Klett-Cotta 2024)

Hey guten Morgen, wie geht es dir? - Martina Hefter

Martina Hefter erzählt in ihrem Roman die Geschichte von Juno Isabelle Flock, einer Künstlerin, die mit ihrem Mann Jupiter in Leipzig lebt. Dieser ist Schriftsteller und aufgrund einer Erkrankung auf den Rollstuhl oder teilweise auch eine Gehhilfe angewiesen. Juno verbringt ihre Tage hauptsächlich mit Tanztraining und der Versorgung ihres Ehemannes, der je länger, je mehr Hilfe braucht. Juno leidet unter Schlaflosigkeit und fängt an, sich die Nacht mit Nachrichten an Love-Scammer zu vertreiben. Manchmal "verarscht" sie die Männer aus irgendwelchen Schwellenländern mit ihren Fakeidentitäten, manchmal ergeben sich aber auch (fast) ernsthafte Dialoge.


"Es kam ihr manchmal vor, als wäre es ihre aufrichtigste Haltung. In den Chats war sie womöglich die echte Juno." / S. 15

Mit Benu aus Nigeria verstrickt sie sich immer tiefer. Sie wechseln von Instagram auf Whatsapp und landen irgendwann bei Videocalls. Ob er sie wie die anderen Scammer irgendwann um Geld bitten oder sie sonst irgendwie auszunehmen versuchen wird? Das müsst ihr euch selbst erlesen.


Sehr offensichtlich sind die Namen aus der römischen oder im Falle von Benu der altägyptischen Mythologie. Juno ist die Göttin der Ehe und Gemahlin Jupiters. Diese ziehen sich durch das gesamte Buch und passen auch gut zu den jeweiligen Protagonist:innen. Ich nehme an, da könnte man auf der Metaebene des Romans noch einiges interpretieren, was in die jeweilige Namensschablone passt.


Während ich Juno gerne gefolgt bin, auch dank dem Einblick in ihr Leben für das Ballett, das Theater und die Kunst, hat sich mir nicht ganz erschlossen, worauf Martina Hefter mit der Love-Scammer-Geschichte hinauswollte. Für mich ist da zu wenig Explosionsstoff drin bzw. dieser wurde zu wenig ausgenutzt. Die Geschichte - und damit das ganze Buch - dümpelt eher etwas vor sich hin und am Ende ist es nicht viel mehr als ein Kreisen verschiedener Planeten umeinander mit mehr oder weniger Anziehungskraft, mehr oder weniger gemeinsamer Sprache, unterschiedlichen Abhängigkeiten und Machtverhältnissen. An sich spannend, weil Martina Hefter damit Themen wie Liebe, Fürsorge, Sehnsucht, gutes Leben und Abhängigkeiten (auch global) anspricht. Aber insgesamt macht sie mir etwas zu wenig aus der Ausgangslage.


Die Fakten

Martina Hefter

Klett-Cotta

224 Seiten

Erschienen am 12.07.2024

Hardcover

ISBN: 978-3-608-98826-0





Vierundsiebzig - Ronya Othmann (Rowohlt 2024)

Vierundsiebzig - Ronya Othmann

Bei Ronya Othmanns Buch "Vierundsiebzig" über den vierundsiebzigsten Genozid an den Êzîden habe ich mich ganz grundsätzlich gefragt, was dieses als Roman qualifiziert. In der Shortlist-Lesung sagte die Autorin und Journalistin, dass sie die Figuren fiktionalisieren musste. Das ist natürlich zu deren sowie zu Othmanns eigenem Schutz sehr verständlich. Trotzdem macht das noch keinen Roman aus einem Buch, das ich eher für einen Bericht halte.


"Angesichts dessen, was 2014 in Shingal geschah und was die Vereinten Nationen und das Europäische Parlament später Völkermord nannten, versagt die Sprache." / S. 12

Othmann versucht nachzuzeichnen, wie es den Êzîden insbesondere rund um den 2014 durch den Islamischen Staat (IS) verübten Genozid erging und wie sie bis heute damit umgehen, seit Jahrhunderten ein verfolgtes Volk zu sein. Damit verbunden ist natürlich auch die Frage, ob und wie eine den Traditionen (z.B. dem Kastensystem) verhaftete und mehr und mehr in der Welt verstreute Gruppe in die Zukunft gehen, sich vielleicht auch modernisieren könnte. Ein unumstritten sehr wichtiges Thema, das meiner Meinung nach auch (mehr) Aufmerksamkeit verdient hat. Leider hat mich aber die Umsetzung auf über 500 Seiten nicht überzeugt. Ronya Othmann nimmt uns mit auf ihre Reisen in die Region, schafft es in ihren fragmentarischen Einblicken aber nicht, ein wirklich plastisches Bild zu zeichnen, weder von den bereisten Regionen im Irak, in Syrien und in der Türkei, noch vom Völkermord oder der Verarbeitung des Geschehenen. Es scheint, als ob auch ihr die Sprache versage. Sie hält denn im Buch auch mehrmals fest, dass ihr nicht gelingt, was sie mit dem Aufschreiben versucht.


"Ich denke über das Paradox nach, die Geschichte des Genozids aus meiner Perspektive zu erzählen, aus der Perspektive einer Zeugin oder Zuschauerin, die versucht, vom Sprechen und Schweigen der Überlebenden zu erzählen oder es zumindest aufzuzeichnen. Aber wie erzählt man von den Toten und wie von den Verschwundenen, die in diesem Niemandsland, dieser Schwebe zwischen Leben und Tod festhängen? Jeder Text, den ich schreibe, kann nur unvollständig sein, wenn nicht gar völlig irreführend." / S. 69

Hinzu kommt, dass das Buch stark wiederholend ist, immer wieder in den Zeiten springt, scheinbare Belanglosigkeiten (auch aus Deutschland) thematisiert und so sehr ermüdend wirkt. Ich habe das Buch trotzdem beendet, weil ich denke, dass die Stimmen der Êzîden und Êzîdinnen gehört werden sollten. Ich möchte auch nicht sagen, dass sie das Buch nicht hätte schreiben sollen, vielleicht war es der Versuch wert. Aber weiterempfehlen kann ich die Lektüre leider nicht. Und als preiswürdig im Sinne des Deutschen Buchpreises betrachte ich das Buch aus den genannten Gründen ebenfalls nicht.


Die Fakten

Ronya Othmann

Rowohlt

512 Seiten

Erschienen am 11.03.2024

Hardcover

ISBN: 978-3-498-00361-6





Hasenprosa - Maren Kames (Suhrkamp 2024)

Hasenprosa - Maren Kames

Ganz kurz machen kann ich es bei Maren Kames' "Hasenprosa". Ich habe das Buch abgebrochen. Maren Kames erzählt uns sehr fragmentarisch, lyrisch, assoziativ und surrealistisch aus dem Leben der Ich-Erzählerin und eines Hasen - Alice in Wonderland lässt grüssen. Dabei kommt sie zum Beispiel auf die beiden Grossmütter, die sehr unterschiedlich waren, zu sprechen. Leider erschliesst sich mir als Leserin weder eine Geschichte, noch interessante philosophische Fragmente, noch was es jetzt zum Beispiel mit den genannten Grossmüttern auf sich hat. Die Sprache ist derart gekünstelt kompliziert und stakkatohaft, dass sie leider auch kein Genuss ist.


"Eventuell ist der Donnerkeil in meinem Kopf auch deshalb ein so deutlich herausragendes Oma-Pars-pro-Toto, weil diese beiden die Neubau-Großeltern waren. Die ständig Umziehenden. Die nirgendwo Zuhausenen." / S. 30

Für mich ist das leider nichts und ich denke, für den Deutschen Buchpreis ist da trotz eines gewissen Anspruchs an die Sprache und einem begrüssenswerten Hang zum Experimentellen zu wenig Substanz und für das breitere Publikum Verdaubares zu finden in "Hasenprosa".


Wenn ihr mehr zum Buch erfahren wollt, empfehle ich euch die Folge 309 von Papierstau Podcast, allerdings ist auch das alles andere als eine Ode ans Buch.


Die Fakten

Maren Kames

Suhrkamp Verlag

182 Seiten

Erschienen am 18.03.2024

Hardcover

ISBN: 978-3-518-43168-9




PS: Herzlichen Dank an die Verlage und an NetGalley DE für die digitalen Rezensionsexemplare. Die Seitenzahlen beziehen siech auf die EBooks und können von der Printversion abweichen.




Longlist zum Deutschen Buchpreis 2024

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