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- Innehalten
Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk schreibt nicht nur Romane für Erwachsene, mit "Die verlorene Seele" hat sie zusammen mit Illustratorin Joanna Concejo ein ganz besonderes Kinderbuch geschaffen. Im Rahmen der Aktion #olgalesen rund um die Werke von Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, organisiert von Karla Paul alias Buchkolumne, habe ich hier bereits über den Roman "Gesang der Fledermäuse" berichtet. "Die verlorene Seele" von Olga Tokarczuk und Joanna Concejo hat zumindest etwas mit dem ersten Buch gemeinsam: Es beginnt mit Schnee und Spuren im Schnee. Wir blicken aus der Vogelperspektive auf einen Park, sehen Menschen umhergehen, schlittschuhlaufen, auf der Bank sitzen und Spuren im Schnee hinterlassen. Dem Buch vorangestellt ist eine kurze Textpassage: "Könnte uns jemand von oben betrachten, er sähe so viele Menschen auf der Welt in ständiger Eile, erhitzt und erschöpft, und er sähe ihre verlorenen Seelen, die nicht mehr Schritt halten können mit ihnen ..." Die Geschichte wird von einer Seite Text eingeleitet, gefolgt von einer Abfolge von Concejos äusserst fein gezeichneten, nostalgischen, träumerischen Bildern, nur noch einmal unterbrochen von zwei Sätzen und abgerundet mit einem abschliessenden Textabschnitt. Der Seele entflohen Wie ein Märchen beginnt das Buch mit "Es war einmal...". In diesem Fall ein Mann namens Jan, der sehr viel und schnell arbeitete. Es ging ihm dabei vermeintlich ganz gut. Aber eines Tages wusste er nicht mehr, wo er gerade war. Nicht mal mehr an seinen Namen erinnerte er sich. Eine weise Ärztin stellte dann fest: "Die Seelen wissen, dass sie ihre Menschen verloren haben, die Menschen aber bemerken oft nicht einmal, dass ihnen die eigene Seele abhandengekommen ist." Und sie riet ihm, in Ruhe auf seine Seele zu warten. Nichts zu tun, ausser zu warten. Und das tat er, in einem kleinen Haus am Stadtrand. Wie ein Fotoalbum Und dieses Warten beobachten wir in Joanna Concejos Bildern, die sie auf kariertes Papier gebannt hat - passend zum Gefühl von Jan, "... dass alles um ihn herum ganz flach würde, als bewegte er sich über die Seite eines Mathematikhefts, über ein Blatt Papier, das bedeckt war mit den gleichförmigen Reihen der Kästchen." Auf den vergilbten Seiten sehen wir Jan in seinem Haus am Stadtrand und zwischendurch (immer auf der linken Seite, mit leichtem Blaustich) immer wieder Erinnerungsfetzen, Szenen aus seiner Kindheit und von späteren Jahren - beim Eisessen, auf einem Fest, am Strand. Jans Haare werden immer länger, die Pflanzen in seinem Haus immer üppiger. Beim Betrachten der atmosphärischen Bilder haben wir den Eindruck, ein altes Fotoalbum in den Händen zu halten, durch ein Leben zu blättern. Manchmal gesellen sich auch Tiere dazu - eine Katze und überraschender: ein Hirsch und ein Hase. Der Hirsch taucht als Miniatur später wieder auf. Die Pflanzen wachsen auch schon mal surrealistisch direkt aus dem Tisch. Seele und Körper finden wieder zusammen Eines Tages stand dann seine Seele - in Gestalt eines Kindes - vor der Türe. Mit der Rückkehr seiner Seele, zieht auch die Farbe wieder ins Bilderbuch und in Jans Leben ein. Die Pflanzen wuchern nun richtiggehend, verwandeln das Haus in einen Dschungel, schlagen Ranken mit orangen Blüten hoch in den Himmel. Und wie im Märchen leben die beiden noch lange und glücklich. Traumhaft gestaltet Die ebenfalls polnische Illustratorin Joanna Concejo hat das Kinderbuch traumhaft gestaltet, im wahrsten Sinn des Wortes: ganz sanft, mit feinem Strich. Sie spielt mit Licht, mit halbtransparenten Seiten aus Pergamentpapier, mit surrealen Elementen. Zusammen erzählen die beiden einfühlsam die Geschichte eines Mannes, der sich selbst abhanden gekommen ist, gestresst und getrieben von der Arbeitswelt. Indem er aber einen guten Rat befolg und geduldig wartet, wird er wieder eins mit seiner Seele und damit sich selbst. Fazit Olga Tokarczuk und Joanna Concejo schenken uns mit ihrem Kinderbuch "Die verlorene Seele" einen Moment des Innehaltens in einer hektischen Welt. Sie erinnern daran, wie wichtig es ist, dass Körper und Seele in Einklang sind, im Gespräch miteinander, dass die beiden gut zueinander schauen. Ein Bilderbuch, das sich bestens als Geschenk eignet - für Kinder ab ca. 8 Jahren und alle Gehetzten. Die Fakten Die verlorene Seele Olga Tokarczuk (Text) Joanna Concejo (Illustration) Lothar Quinkenstein (Übersetzung aus dem Polnischen) Kampa Verlag (Gatsby) 48 Seiten Erschienen am 11.12.2019 ISBN: 978-3-311-40001-1 Like it? Pin it! Magst du diesen Buchschatz? Dann freue ich mich, wenn du ihn dir auf Pinterest merkst und andere darauf aufmerksam machst. Danke!
- Auf der anderen Seite
Der Roman "Die Wand" von Marlen Haushofer ist ein moderner Klassiker aus dem Jahr 1963. Weshalb er auch heute noch äusserst lesenswert ist, erfahrt ihr hier. Ich habe in einem anderen Blogbeitrag bereits einmal die Aktion #autorinnenschuber von Nicole Seifert vom Nacht und Tag Blog erwähnt. Auf Instagram habe ich denn auch ein Bild dazu mit 10 Buchtipps von Autorinnen gepostet. Im Rahmen dieser Aktion ist mir ein Buch besonders oft aufgefallen: "Die Wand" von der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer. Der Roman von 1963 gilt als ihr wichtigstes Werk. So richtig bekannt und erfolgreich wurde das Buch - wie ihr gesamtes Werk - aber erst, als Marlen Haushofer von der Frauenbewegung entdeckt wurde. So wurden ihre Romane und Erzählungen ab 1984 erneut aufgelegt. Grund genug, den modernen Klassiker einmal zu lesen! Worum geht es? In "Die Wand" fährt die namenlose Ich-Erzählerin mit ihrer Cousine Luise und deren Mann Hugo für ein Wochenende in ein Jagdhaus im österreichischen Gebirge. Luise und Hugo gehen am Abend ins nächste Dorf in eine Gaststätte. Die Ich-Erzählerin bleibt alleine zurück. Als sie am nächsten Morgen erwacht, ist das Ehepaar noch nicht zurück. Sie beginnt sich Sorgen zu machen und macht sich schliesslich mit Hugos Jagdhund Luchs auf den Weg ins Tal. Da stösst sie auf einmal gegen eine unsichtbare, harte, undurchdringliche Wand. Die Wand scheint sie völlig zu umgeben und so hoch zu sein, dass sie sie unmöglich überwinden kann. Keine Aussicht auf Befreiung So unvermittelt abgeschnitten von der Zivilisation beginnt die Ich-Erzählerin, sich in ihrem Exil ein Leben als Selbstversorgerin aufzubauen. Dass sie nicht nach einem Ausgang sucht oder versucht, die Wand zum Beispiel mit dem zurückgebliebenen Auto von Hugo zu durchbrechen, liegt zunächst daran, dass auf der anderen Seite der Wand sämtliches menschliches und tierisches Leben ausgelöscht erscheint. Die Ich-Erzählerin hat durch die Wand wie versteinerte Menschen und Tiere gesehen und geht von einer grossen Katastrophe aus, die das ganze Land oder vielleicht auch den Rest der Welt getroffen hat. Die Ich-Erzählerin schildert diese Vorgänge rückblickend während dem dritten Winter in ihrer Isolation. Indem sie praktisch chronologisch ihr Leben in der Jagdhütte rekapituliert, ab und zu aber Fakten aus der Gegenwart einfliessen lässt, baut sich eine grosse Spannung auf. So erfahren wir schnell, dass ihr Gefährte Luchs sterben wird, ebenso eine ihrer Katzen und später der junge Stier. Sehr schnell drängt sich natürlich die Kategorisierung der Geschichte als Robinsonade auf. Die vierzigjährige Frau ist in einem abgeschlossenen Gebiet völlig auf sich gestellt und lernt Stück für Stück, sich mit der sie umgebenden Natur und den Tieren (ihr laufen eine trächtige Kuh und eine Katze zu) selbst zu versorgen. Im Unterschied zu Robinson Crusoe hat sie das Glück, dass sie mit dem Jagdhaus über ein Obdach verfügt, in dem auch noch viele Vorräte vorhanden sind, darunter Streichhölzer, ein Gewehr und Munition, ausreichend Holz und einige Kartoffeln und Bohnen, die sie einpflanzen kann. Der Hund Luchs wird zu einer Art Freitag, um bei dem Vergleich mit Robinson zu bleiben, indem er ihr treuer Gefährte, Beschützer und Helfer auf der Jagd ist. Die Ich-Erzählerin nimmt sogar einmal Bezug auf Robinson. Allein, aber nicht einsam Spannend sind neben der Handlung auch die Gedanken, die sich die Ich-Erzählerin über ihre gegenwärtige Situation, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft macht, wie sie alleine zurechtkommt, ja, sogar hofft, es möge in dem verschonten Areal niemand anderes überlebt haben. Erst recht hofft sie, dass nicht plötzlich die "Sieger" auftauchen, die vielleicht für die Katastrophe verantwortlich waren. Die Angst ist geprägt vom damaligen Klima des kalten Krieges und damit der Möglichkeit eines Nuklearschlags. Die Ich-Erzählerin scheint mit ihrem früheren Leben mit (verstorbenen) Ehemann und zwei Töchtern nicht sehr glücklich gewesen zu sein und trauert ihm nicht nach. Beinahe sieht sie das Ereignis als Chance, nochmals neu anzufangen, sich neu zu definieren und ab einem gewissem Zeitpunkt praktisch ausserhalb der Zeit weiterzuleben. "Durch die Wand wurde ich gezwungen, ein ganz neues Leben zu beginnen, aber was mich wirklich berührt, ist immer noch das gleiche wie früher: Geburt, Tod, die Jahreszeiten, Wachstum und Verfall." (S. 150) Aber natürlich zweifelt und verzweifelt sie auch immer wieder an ihrer Situation, am eintönigen Alltag. "Ich bin schon jetzt nur noch eine dünne Haut über einem Berg von Erinnerungen. Ich mag nicht mehr. Was soll denn mit mir geschehen, wenn diese Haut reisst?" (S. 66) "Und morgen wird es sein, wie es heute ist und wie es gestern war. Ich werde erwachen, aus dem Bett steigen, ehe der erste Gedanke Zeit hat aufzuwachen, und später wird die schwarze Krähenwolke sich über die Lichtung senken, und ihr rauhes Geschrei wird den Tag ein wenig beleben." (S. 109f.) Haushofer erzählt im Stile eines inneren Monologs weitgehend nüchtern, einfach und schnörkellos. Manchmal wird die Ich-Erzählerin philosophisch, aber nie pathetisch. Der Duktus hat mich in seiner Ruhe und Genauigkeit sehr beeindruckt. Die Ich-Erzählerin wirkt angesichts ihres Schicksals oft sehr abgeklärt, aber trotzdem nicht kalt, was daran liegen mag, dass sie sich mit ihren Tieren eine Art neue Familie aufbaut, mit ihnen spricht und versucht, in grösstmöglicher Harmonie mit ihnen zu leben. Beim Lesen leiden wir mit, können uns einfühlen, freuen uns mit, frieren mit ihr und geniessen gemeinsam die Stille und den Sternenhimmel. Ich fühlte mich der Ich-Erzählerin so nah, wie ich es noch kaum je in einem anderen Buch erlebt habe und fragte mich über fast 300 Seiten hinweg, wie ich in einer solchen Situation reagieren würde. Es ist unvorstellbar, aber Marlen Haushofer macht das Unvorstellbare nachvollziehbar und so zumindest literarisch erlebbar. Fun Fact Wie über Wikipedia zu erfahren ist, wird der Roman gerade in Frankreich seit einem Instagram-Post von Illustratorin und Autorin Maureen Wingrove alias Diglee wieder sehr gehyped. Fazit "Die Wand" von Marlen Haushofer ist ein sehr spannender, dicht erzählter Roman über das Leben einer Frau in der Isolation, aber auch über einen Neuanfang, die Neuerfindung der eigenen Person, ein neues Leben fernab der Zivilisation, in Eintracht mit der Natur. Ein moderner Klassiker, der nicht nur, aber auch aus einer feministischen Perspektive mitreissend, berührend, bewegend und aufwühlend ist und sicher lange nachhallt! PS: "Die Wand" wurde 2012 unter demselben Titel mit Martina Gedeck verfilmt (Trailer). Die Fakten Die Wand Marlen Haushofer Ullstein Buchverlag 288 Seiten Erschienen 2018 (als Taschenbuch, Originalausgabe 1963) ISBN: 978-3-548-60571-5 Hörprobe und Bestellung bei Ullstein Like it? Pin it! Magst du diesen Buchtipp? Dann freue ich mich wahnsinnig, wenn du dieses Wahnsinnsbuch auf Pinterest teilst und so andere davon wissen lässt!
- Federleicht und bärenstark
Haben eure Kinder auch eine Sammlung von Federn? Bei uns gehören sie zu den beliebtesten Fundstücken. Das Sachbilderbuch "Die Feder" von Britta Teckentrup liefert ganz viel Wissenswertes über dieses Wunderwerk der Natur. Britta Teckentrup ist Garantin für gute und vor allem schöne Kinderbücher. Das hat sie wie schon so oft auch mit "Das Ei" bewiesen, das ich ebenfalls in einem Beitrag besprochen habe. Da aus vielen - aber natürlich nicht allen! - Eiern Vögel schlüpfen, ist es eigentlich nur folgerichtig, dass sie sich auch diesem Naturwunder in einem eigenen Bilderbuch angenommen hat. Federn faszinieren Menschen schon immer. Kein Wunder! Dank ihnen können Vögel fliegen, Enten stundenlang auf dem eiskalten See dümpeln und wir warm zugedeckt schlafen. Schon mehr überrascht hat mich, dass es sogar einen Fachbegriff für die Vogelfederkunde gibt: die Plumologie. Das wäre doch mal ein Berufswunsch! Von wissenswert bis überraschend Wer es nicht gleich so weit treiben will, kann seinen Wissensdurst auch mit "Die Feder" schon ziemlich gut stillen. Wir erfahren nämlich, wie eine Feder entsteht, woraus sie besteht (Keratin) und wie sie beschaffen ist. Dann lernen wir die unterschiedlichen Federtypen von Daunen bis Fadenfedern kennen und bestaunen ihre Farbenpracht. Dass Federn dem Fliegen dienen (ausser vielleicht bei Pinguinen und einigen anderen flugunfähigen Vögeln) wissen wir schon, auch dass Daunen Wärme spenden. Federn haben aber viele weitere Funktionen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Schwäne aktiv dafür sorgen müssen, dass die Federn ihrer Jungen wasserabweisend werden? Sie tragen dafür mit ihrem Schnabel eine Schutzschicht aus Öl auf. Reiher geniessen schon mal eine Art Pflegespülung, indem sie sogenannte Puderfedern zerdrücken und im Gefieder verteilen. Und manche Vögel können mit ihren Federn sogar singen. Neben der biologischen Seite, kommt Britta Teckentrup auch auf den kulturellen Aspekt von Federn zu sprechen. Schon die Griechen und Ägypter liessen sich von Federn und Flügeln für ihre Fabelwesen und Geschichten inspirieren. Auch für die Ureinwohner Nordamerikas waren Federn voller Symbolkraft. Hierzulande diente sie lange als Schreibwerkzeug und schmückte die Hüte edler Damen und Herren. Später wurde sie zum Vorbild für die ersten Flugmaschinen. Eine Feder hat es sogar bis zum Mond geschafft. Wie und weshalb sie immer noch dort liegt, erfahrt ihr im Buch! Kunstvoll illustriert Britta Teckentrup hat mit ihrer besonderen Technik auf Basis von Collagen unfassbar schöne Federn in ihr Buch gezaubert: Da finden sich Daunen so zart, dass man meint, sie müssten sich flauschig anfühlen. Von grob strukturierten Möwen bis zu den feinsten Verästelungen einer Feder ist alles dabei. Fazit "Die Feder" von Britta Teckentrup zeigt Kindern ab 6 Jahren und Interessierten jeden Alters, wie vielfältig, multifunktional, bunt, tarnend, windschnittig, schützend, fein und stark Federn sind. Wie nebenbei vermittelt sie auf fast 100 Seiten in einfachen, aber informativen Texten viel Wissenswertes über das Vogelkleid. Die Fakten Die Feder Britta Teckentrup (Text + Illustration) Kathrin Köller (Übersetzung aus dem Englischen) Prestel junior 96 Seiten Erschienen am 26.03.2018 ISBN: 978-3-7913-7333-1 Ab 6 Jahren Blick ins Buch und Bestellung bei Randomhouse PS: Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar an Prestel junior und Randomhouse. Like it? Pin it! Magst du diesen Buchtipp? Dann freue ich mich sehr, wenn du dir den Pin merkst. Das geht feder..., äh, kinderleicht!
- Sind wir nicht alle ein bisschen Ida?
Wie vielfältig 365 - oder dieses Jahr 366 - Tage im Leben eines Kindes sein können, zeigt euch "Jeder Tag ist Ida-Tag" von Antje Damm. Lest die Besprechung und ich bin sicher, ihr werdet danach sagen: "Ich bin auch Ida!". Solche und solche Tage Ihr kennt das bestimmt von euren Kindern und von euch: Es gibt solche Tage und solche. Und dann auch noch solche... Mal fühlt ihr euch gut, mal schlecht, mal ist der Tag echt hässlich, mal gilt es, eine Entscheidung zu fällen, mal ist Strandtag, mal Badetag, mal hat das Stofftier oder Haustier Geburtstag und je einmal im Jahr ist auch noch Ostern, Weihnachten, Nikolaus und nicht zu vergessen: der eigene Geburtstag! Diese und noch viel mehr Tage durchleben wir in Antje Damms Kinderbuch mit der rothaarigen, kreativen, temperamentvollen, klugen, witzigen und einfach sehr, sehr coolen Ida - und mit ihrem Hasen. Der ist nämlich auch immer dabei. Ida macht irgendwelche Sachen, Sachen, die sie will, die sie muss, Sachen, die sie gar nicht mag (sich langweilen) und Sachen, die sie mag (Geschenke auspacken, okay, das Geschenk ist in diesem Fall leider Scheisse...). Ida hat tolle Ideen (Hase findet sie nicht immer toll). Wie du und ich Ida ist wie ich - fixiert auf gewisse Dinge: Wenn die Nutella fehlt (bei mir wäre es ein Mokka Joghurt), ist der Tag im Eimer. Ida ist wie meine Kinder - gnadenlos: Wenn Mama stirbt, dann möchte sie unbedingt ihr Handy erben. Und gnadenlos ehrlich: "Den allerlautesten Popo hat auf jeden Fall der Papa!". Ida ist liebevoll (manchmal auch zu ihrem Bruder) und Ida ist grosszügig, ausser es geht um Schokolade, versteht sich! Also ich frage euch nochmal: Sind wir nicht alle ein bisschen Ida?! Antje Damm hat Ida ganz einfach in Blau und Orange und doch so voller Emotionen gezeichnet. Auf der rechten Seite sehen wir in kleinen Szenen und mit Idas Gedanken oder Worten, wie ihr Tag so aussieht. Die linke Seite füllt sich Seite für Seite mit Dingen an, die in Idas Tagen vorkommen. Nur Hase, der bleibt natürlich immer bei ihr! Fazit "Jeder Tag ist Ida-Tag" von Antje Damm ist ein sehr, sehr witziges Buch über Alltagssituationen aus der Sicht kleiner Kinder. Die Episoden voller Humor, Neugier, Wahrheit, Magie und einer guten Portion Pragmatismus werden Kinder ab 6 Jahren lieben - ihre Eltern sowieso. Mit Ida und ihrem Hasen wird jeder Tag ein besonderer Tag! Die Fakten Jeder Tag ist Ida-Tag Antje Damm (Text + Illustration) Moritz Verlag 96 Seiten Erschienen am 21.08.2019 ISBN: 978-3-89565383-4 Leseprobe und Bestellung beim Moritz Verlag PS: Herzlichen Dank an den Moritz Verlag für das Rezensionsexemplar. Like it? Pin it! Magst du diesen Buchtipp? Dann freuen sich Ida, Hase und ich, wenn du dir den Pin auf Pinterest merkst! Danke!
- Auf Abwegen
Olga Tokarczuk hat den Literaturnobelpreis 2018 gewonnen. Ich habe mir als erstes ihren Roman "Gesang der Fledermäuse" vorgenommen. Mehr über das Buch und das Projekt #olgalesen erfahrt ihr in diesem Beitrag. Wir lesen Olga Tokarczuk und sprechen darüber! Lest und hört ihr auch hauptsächlich vom Literaturnobelpreisträger 2019 und vermisst die Diskussion über Olga Tokarczuk, die Preisträgerin von 2018? Dann seid ihr nicht alleine! Viele Blogger*innen haben den Eindruck, dass die weibliche Gewinnerin (es ist erst die 15. in der Geschichte des Nobelpreises für Literatur mit total 114 Verleihungen!) einmal mehr sträflich vernachlässigt wird vom Feuilleton, von der Berichterstattung in Radio, Fernsehen, etc. Karla Paul aka Buchkolumne hat deswegen die geniale Aktion #olgalesen ins Leben gerufen, um die Schriftstellerin auf allen Kanälen ins Gespräch zu bringen. Macht auch mit! Auf euren Blogs, in Podcasts, auf Facebook, Insta und Twitter mit dem Hashtag #olgalesen oder natürlich auch offline - in Buchhandlungen, in Bibliotheken, in Lesekreisen unter Freunden. Das Werk der polnischen Schriftstellerin erscheint auf Deutsch derzeit nach und nach beim Schweizer Kampa Verlag. Bereits erschienen sind die in der Grafik abgebildeten Bücher sowie das Bilderbuch "Die verlorene Seele". Ende Januar 2020 erscheint zudem der Erzählband "Der Schrank" in der Übersetzung von Esther Kinsky (Olga Tokarczuk bei Kampa). Ich habe mir als erstes "Gesang der Fledermäuse" vorgenommen, weil es sich um einen Roman handelt, der leicht zugänglich sein soll und mir Romane meist eher liegen als Erzählbände. Gesang der Fledermäuse Der Verlag sagt über den Roman: "Komödie, Fabel, Thriller, politischer Essay, literarisches Spiel – dieser Roman passt in keine Schublade." Und im Klappentext wird er auch noch als "Kriminalroman" bezeichnet. Letzteres weckt etwas falsche Erwartungen, aber Ersteres kann ich voll und ganz unterschreiben. Worum geht's? Die Ich-Erzählerin Janina Duszejko, eine ältere Dame mit einer Vorliebe für die Sterndeutung und einem ominösen Leiden, lebt auf einem Hochplateau an der polnisch-tschechischen Grenze, nahe des Städtchens Glatz. Zusammen mit Magota und Bigfoot (so nennt sie die beiden Männer zumindest, denn sie verteilt immer Namen, die ihr passend erscheinen) ist sie die einzige, die auch den Winter in dem kleinen Dorf verbringt. Alle anderen Bewohner*innen ziehen es vor, von Oktober bis April ins Tal zu ziehen. Der Roman beginnt damit, dass Bigfoot tot ist, erstickt an einem Rehknochen. Janina, die ihren eigenen Namen überhaupt nicht leiden kann, ist nicht traurig über den Tod, denn Bigfoot war Fallensteller und Wilderer und Janina, selbst Vegetarierin, damit ebenso ein Dorn im Auge wie die Jäger, die von ihren Kanzeln praktisch wahllos Tiere ermorden. "Auch mich wird dieses Schicksal einmal treffen, ebenso wie Magota und die beiden Rehe da draussen. Irgendwann einmal werden wir alle nichts anderes sein als totes Fleisch." (S. 13) "So sangen wir etwa eine Stunde lang, immer dasselbe, bis die Worte ihre Bedeutung verloren hatten, als seien sie Steinchen in einem Meer, die, endlos von den Wogen glattgeschliffen, einander glichen wie zwei Sandkörner." (S. 49) Bigfoot bleibt nicht der einzige Tote. Es trifft weitere Männer, alle angesehene Leute des Städtchens, alle Jäger. Janina Duszejko ist überzeugt, dass sich die Tiere des Waldes an den Tiermördern rächen wollten und für die Todesfälle verantwortlich sind. Diese Überzeugung versucht sie auch ihren Freunden und der Polizei näherzubringen, scheint aber nicht so recht durchzudringen, obwohl sie zur Begründung ihre Beobachtungen und die Auswertungen der Horoskope darlegt. "Wenn ihr an den Schaufenstern vorbeigeht, in denen zerstückelte Leichenteile hängen, was denkt ihr dann, was das ist? (...) Nichts Schreckliches. Das Verbrechen wird als etwas ganz Normales angesehen, es ist eine tägliche Verrichtung. Alle tun es." (S. 125) Janina war einst Brückenbauingenieurin und unterrichtet nun noch einige Stunden Englisch. Um Geld zu verdienen, kontrolliert sie ausserdem die leerstehenden Häuser derjenigen, die den Winter in der Stadt verbringen. Ansonsten führt sie ein Leben als Aussenseiterin. In ihrer Freizeit studiert sie Horoskope und übersetzt mit ihrem ehemaligen Schüler Dyzio Gedichte von William Blake. Eine spannende Parallele insofern, dass Blakes mystisches Weltbild seinen Mitmenschen und Kollegen als Zeichen einer geistigen Verwirrung galt (siehe Wikipedia). Erst spät in seinem Leben und posthum wurden er, sein prophetischer Blick und sein Werk doch noch anerkannt. Zitate von Blake leiten inhaltlich sehr passend jeweils die Kapitel ein. Auf und ab Geschrieben ist "Gesang der Fledermäuse" konsequent aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Janina Duszejko. Insofern wissen wir immer nur, was sie weiss und was sie uns davon mitteilt. Neben dem Geschehen spielen Janinas Gedanken eine ebenso tragende Rolle. Der Roman entwickelt sich nach dem ersten Paukenschlag langsam, es gibt "nur" etwa alle 100 Seiten einen Toten und sowohl die Ermittlungen der Polizei als auch die von Janina Duszejko verlaufen schleppend. So zieht sich denn das Buch in der Mitte auch etwas, v.a. wenn man wie ich die astrologischen Abhandlungen über Saturn, Pluto und Co. in irgendwelchen Häusern und Aspekten nichts abgewinnen kann. Ich war den ganzen Roman über auch nicht sicher, ob Olga Tokarczuk diese Ausführungen selbst ernst nimmt oder ob sie bloss die Verschrobenheit von Janina zum Ausdruck bringen sollten. Dafür finde ich diese Passagen aber deutlich zu häufig und zu detailliert. Gegen das Ende hin nimmt die Geschichte wieder an Fahrt auf und wir beginnen auch zu ahnen, wie die Todesfälle zu erklären sein könnten. Der Schluss ist dann wirklich fulminant und so das Buch trotz der Längen sehr lesenswert. Es lebt denn auch nicht von einer klassischen (Kriminal-)Geschichte, sondern mehr von Janinas Gedanken über unsere Welt, die Gesellschaft und deren Entwicklungen (z.B. in der Schule, aber auch in der Wirtschaft und Politik generell). Also von kleinen (ironischen) Einsichten und gesellschaftskritischen Spitzen gegen einen Gewissen Schlag Menschen bzw. gewisse Institutionen: "Auf einer Bank sass eine schwangere Frau und las Zeitung, und plötzlich kam mir in den Sinn, dass Unwissenheit ein Segen ist. Wie könnte man alles wissen und nicht ständig in Tränen ausbrechen?" (S. 146) "Der Mensch ist frei und kann mit seinem Leben tun, was er will, solange er keine Banken ausraubt." (Dyzio auf S. 154) "Ich bin überzeugt, dass ihre Eigentümer [von Geländewägen] kleine Pimmel haben und diese Unzulänglichkeit mit der Grösse des Autos kompensieren." (S. 166) "Zweimal assen wir mit ihm zu Mittag und wir veranstalteten eine kleine Blake-Konferenz, undotiert und ohne EU-Gelder". (S. 255) "Aber warum hätten wir eigentlich nützlich sein sollen, und wem? Wer teilt die Welt in nützlich und unnütz auf, und mit welchem Recht? Hat eine Distel kein Recht auf Leben oder eine Maus, die in Lagerräumen Getreidekörner frisst? Bienen und Drohnen, Unkraut und Rosen?" (S. 280) Der Titel "Gesang der Fledermäuse" hat weniger mit einer entscheidenden Rolle dieser Tiere in der Geschichte zu tun, als vielmehr mit Janinas Selbstverständnis: "Im Grunde genommen hatte ich viel gemeinsam mit ihnen [den Fledermäusen] - auch ich sah die Welt aus einer anderen Perspektive, auf den Kopf gestellt." (S. 163) Fazit "Gesang der Fledermäuse" ist tatsächlich ein guter Einstieg in das Werk von Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Die Geschichte liest sich leicht und flüssig (nur im Mittelteil etwas zäh). In die Handlung eingestreut finden sich immer wieder sprachliche und philosophische Perlen und gesellschaftskritische Einwürfe. Tokarczuks Witz gefällt mir, auch wenn ich bestimmt nicht alle Bezüge (z.B. zur polnischen Geschichte) entdeckt und verstanden habe. Dieser Roman macht auf jeden Fall Lust, noch mehr Bücher von Tokarczuk zu entdecken! Als nächstes werde ich einen Blick in das preisgekrönte Bilderbuch "Die verlorene Seele" werfen und euch natürlich hier und in den Social Media davon berichten. Habt ihr schon etwas von Olga Tokarczuk gelesen und könnt ihr es empfehlen? Ich freue mich über eure Tipps in den Kommentaren (ganz unten). PS: Herzlichen Dank an den Kampa Verlag für das Rezensionsexemplar und ein Lob für die sehr schöne Gestaltung des Buches! PPS: Die Verfilmung des Buches ist übrigens unter dem Titel "Die Spur" am 20. Januar 2020 um 22:20 (was für ein Datum! ;-)) auf Arte zu sehen! Die Fakten Gesang der Fledermäuse Olga Tokarczuk Doreen Daume (Übersetzung aus dem Polnischen) Kampa Verlag 320 Seiten Erschienen am 28.11.2019 (polnische Originalausgabe 2009) ISBN: 978-3-311-10022-5 Like it? Pin it! Magst du diesen Einblick ins Werk von Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk? Dann freue ich mich sehr, wenn du dir den Buchtipp auf Pinterest merkst.
- Überwintern im Krieg
"Winterbienen" von Norbert Scheuer ist ein Buch gegen das Vergessen. Ob es mich über die Thematik hinaus überzeugt hat, erfahrt ihr in diesem Artikel. "Winterbienen" erzählt die Geschichte von Egidius Arimond, der 1944 und 1945 nicht nur in seinem Haus in der Eifel ausharrt, sondern jüdische Flüchtlinge über die Grenze nach Belgien bringt. Er leidet unter Epilepsie, weshalb er nicht wehrtauglich ist und nicht eingezogen wurde. Da ihm immer wieder die Medikamente auszugehen drohen, häufen sich die Anfälle. Eine prekäre Situation, weil Menschen wie er im Nazi-Regime nahezu ausgemerzt wurden und ihm dasselbe Schicksal droht, wenn seine Erkrankung den falschen Leuten bekannt wird. Die Bienen sind Arimonds Beschäftigung, Einnahmequelle und schliesslich auch Fluchthelferinnen. Denn er versteckt die jüdischen Flüchtlinge in Bienenstöcken, die er extra dafür präpariert hat. An die Flüchtlinge heftet Arimond Königinnen, so dass die Arbeiterbienen die Menschen komplett einhüllen und diese so sogar bei einer Kontrolle vor den Augen der Nazis verbergen. Die Ausgangslage ist also äusserst spannend! Zudem erfahren wir aus dem Nachwort, dass es Egidius Arimond wirklich gegeben hat und dass Scheuer in den Besitz von dessen Notizen gelangt ist, die die Zeit in alten Bienenstöcken überdauert haben. Folgerichtig erzählt Scheuer die Geschichte in Form von Tagebucheinträgen, was uns sehr nah an Egidius Arimond heran- und mitten in den Krieg hineinführt. Auch das verspricht eigentlich ein an Authentizität und Intensität kaum zu übertreffendes Leseerlebnis. Kalt, unnahbar, langatmig Was wir dann aber lesen, ist leider über weite Strecken etwas ganz anderes: Es ist mir ein Rätsel, wie einem der tagebuchschreibende Arimond so fremd bleiben kann. Wie er so kalt und trocken von seinen doch sehr dramatischen Erlebnissen erzählt. Wie er kaum je auf seine Gefühle zu sprechen kommt. Wie er ganz abgebrüht die Kriegsabwesenheit der Männer ausnutzt, um mit deren Frauen ins Bett zu gehen. "Ich kann nichts anderes tun, als die jetzige Welt mir so tief einzuprägen, dass ihr wirkliches Wesen und das mögliche Glück darin für mich sichtbar werden. Ich frage mich, was genau die Bienen von ihrer Welt erzählen, wenn sie in der Dunkelheit des Stockes auf ihren Waben tanzen." (S. 103) Es ist ja möglich, dass die gefundenen Tagebucheinträge genauso unnahbar waren. Das Buch wird aber als Roman angepriesen und da würde ich erwarten, dass Norbert Scheuer durch seine fiktionalen Ergänzungen mehr Leben in das Buch bringt. Dass er uns das Handeln von Arimond ansatzweise verständlich oder durch die Wiedergabe einer innerlichen Zerrissenheit zumindest nachvollziehbar macht. Das tut er aber leider nicht oder es kam jedenfalls nicht so bei mir an. Auch nicht besser machen es die eingeflochtenen Fragmente von Ambrosius Arimond, einem Vorfahren von Egidius, der im Mittelalter scheinbar eine bestimmte Bienensorte über die Alpen nach Deutschland gebracht hat und dessen Aufzeichnungen Egidius nun aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt. Sie tragen nichts zur Handlung bei und bringen auch sonst keine Erhellung über die Herkunft der Bienen hinaus. Auch die Abbildungen von Bombern vermitteln keine Empathie für den vorliegenden Stoff bzw. die zugrundeliegende wahre Geschichte. Bienen wären mir lieber gewesen. Die Ausführungen über die Imkerei und das Leben der Bienen ist hingegen sehr interessant und es drängen sich an einigen Stellen Parallelen zum Kriegsgeschehen bzw. zum menschlichen Verhalten auf. Weshalb "Winterbienen" sogar auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019 stand, ist mir schleierhaft. Es ist nicht so, dass das Buch überhaupt nicht lesenswert wäre. Der Inhalt bleibt ja an sich spannend, aber man braucht schon einiges an Ausdauer und muss sich mit einem unnahbaren, unsympathischen Protagonisten anfreunden können, um es zu lesen. Fazit Der für den deutschen Buchpreis nominierte Roman "Winterbienen" von Norbert Scheuer bringt eine äusserst vielversprechende Geschichte auf leider ziemlich distanzierte, trockene Art herüber. Es hätte ein grossartiges Buch gegen das Vergessen sein können, hat mich aber leider nicht erreicht. Ich kann es daher nur Leuten empfehlen, die alles über den Zweiten Weltkrieg lesen oder sich sehr für die Imkerei interessieren. Allen anderen lege ich zum Beispiel "Die Nacht von Lissabon" von Erich Maria Remarque oder "Dem Paradies so fern" von Sophia Mott ans Herz. Die Fakten Winterbienen Norbert Scheuer C.H. Beck 319 Seiten Erschienen am 18.07.2019 ISBN: 978-3-406-73963-7 Leseprobe und Bestellung bei C.H. Beck Like it? Pin it! Magst du diese Buchbesprechung? Dann freue ich mich, wenn du sie dir auf Pinterest merkst.
- Selbstbestimmt und doch zusammen
Mit "Ein Leben mehr" entführt uns Jocelyne Saucier in die Wälder Kanadas und erzählt davon, wie in der Einsamkeit zusammenfindet, was zusammengehört. Das Glück liegt in der Einsamkeit Der Roman beginnt damit, dass eine Fotografin auf der Suche nach Überlebenden der Grossen Brände im Norden Ontarios (anfangs 1900) viele Jahrzehnte später in die gut versteckte Einsiedelei von Tom, Charlie und Ted findet. Und genau diesen Ted oder Edward oder Ed (oder wie auch immer der Vorname lautet) Boychuck sucht die Fotografin für ihr Projekt. "Selbst wer ihn nicht gekannt hatte und ihm nie begegnet war, erzählte von ihm. Ed, Ted oder Edward Boychuck - beim Vornamen war man sich nicht einig - ist das grosse Rätsel des Brandes von Matheson. Der Junge, der durch die rauchenden Trümmer irrte, so nannten ihn die meisten." (S. 73) Genau dieser Ted - nennen wir ihn der Einfachheit halber so - ist aber vor Kurzem verstorben. Die beiden anderen Männer sind alles andere als begeistert vom Auftauchen der Fotografin und wimmeln sie vorerst ab. "Man ist frei, meine Schöne, wenn man sich aussuchen kann, wie man lebt." "Und wie man stirbt", ergänzte Charlie. Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus. (S. 25) Charlie und Tom (und auch Ted) haben aus unterschiedlichen Gründen im Wald ihre Freiheit gesucht und gefunden. Sie haben sich neue Identitäten zugelegt und leben seither fernab der Zivilisation und von den Behörden unbehelligt in einfachen Hütten auf einer Lichtung. Versorgt werden sie von Bruno und Steve, die - mit illegalen Mitteln - dafür sorgen, dass das Geld nicht ausgeht, und die unliebsame Besucher*innen abwimmeln. Das Blatt wendet sich Die Fotografin kehrt jedoch zurück. Und eine weitere Frau stösst zu den Einsiedlern: Brunos 82-jährige Tante Gertrude, später Marie-Desneige genannt. Sie wurde vor über 60 Jahren von ihrem Vater in die Psychiatrie gesteckt, kam da nie mehr heraus und wurde von der Familie totgeschwiegen, bis nun ihr Neffe von ihr erfährt und beherzt eingreift. "Die alte Dame mit dem luftigen Haar und den Fingern wie Spitzendecken wirkte zerbrechlich wie ein Vögelchen. Er [Charlie] hatte das Gefühl, er müsse nur einmal fest pusten und das Vögelchen würde von seinem Holzklotz fallen. Dieser Gedanke erschreckte ihn. Er wollte das Vögelchen nicht umpusten, er wollte es lieber vorsichtig zurück in sein Nest setzen. Dieser Gedanke erschreckte ihn noch mehr." (S. 91) Wie das obige Zitat schon erahnen lässt, verändert sich die kleine Gemeinschaft mit den beiden weiblichen Mitgliedern grundlegend. Die beiden Frauen befördern überdies ein Geheimnis von Ted ans Licht und spüren so dessen Vergangenheit auf. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, damit die Spannung beim Lesen erhalten bleibt. Interessante Erzähltechnik Die frankokanadische Schriftstellerin Jocelyne Saucier hat ihren Roman spannend aufgebaut. Zuerst erfahren wir aus wechselnden Ich-Perspektiven von der Fotografin, von Bruno und Steve, wie sich die Einsiedelei und ihre Neukonstellation mit den beiden Frauen ergeben haben. Durchsetzt sind die Erzählstränge mit kurzen Einschüben eines auktorialen Erzählers. Zu Beginn fand ich das etwas merkwürdig, besonders da es sich inhaltlich wiederholt. Aber der ironische Stil dieser Einschübe gefiel mir und die Autorin schafft es damit, eine besondere Spannung aufzubauen. Die verschiedenen Erzählungen aus der Ich-Perspektive lassen Stück für Stück ein Bild der Situation entstehen und gehören für mich zum Stärksten des Buches. Im Folgenden wird dann nur noch von aussen erzählt, womit auch wir etwas distanzierter auf das Geschehen blicken. Teils finde ich das schade und unnötig, weil es auch die Akteur*innen selbst hätten erzählen können. Teils macht es aber durchaus Sinn, weil die Protagonist*innen nicht alles wissen können, was für die Geschichte relevant und besonders für den Clou am Ende essentiell ist. Insgesamt mag ich, wie Jocelyne Saucier die Geschichte erzählt, wie wir die verschrobenen alten Herren, ihre Gehilfen, die Fotografin und die alte Dame kennenlernen, wie wir uns dabei Gedanken darüber machen, was im Leben (insbesondere im Alter) und beim Sterben wichtig ist. Saucier zeichnet die Charaktere sehr lebhaft, ironisch und doch einfühlsam. Zusammen mit der spannenden Geschichte mit dramatischen, traurigen und herzergreifenden Szenen und einem Clou am Ende ergibt sich ein sehr lesenswerter Roman, den ich in der Art noch nie gelesen habe. Zwei ganz kleine Kritiken habe ich anzubringen: An mindestens zwei Stellen taucht im selben Abschnitt zweimal derselbe Wortlaut auf (z.B. einmal als Hauptsatz und kurz darauf als Nebensatz). Ein oder zwei Äusserungen fand ich klar frauenfeindlich. Und das ohne Not, denn sie wurden nicht etwa von frauenfeindlichen Personen geäussert, sondern von der Erzählstimme (also schlussendlich von einer Frau). Möglich, dass diese Fauxpas nicht der Autorin, sondern der Übersetzerin anzulasten sind. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Passagen nicht mit dem Original verglichen habe. Fazit Jocelyne Saucier hat mit "Ein Leben mehr" einen einfühlsamen, teils tragischen, aber auch witzigen Roman darüber geschrieben, was ein selbstbestimmtes Leben (und Sterben) ausmacht und wie unterschiedlich verschiedene Menschen damit umgehen. Es ist eine Hommage an die Gemeinschaft, an den Zusammenhalte, an die Hilfsbereitschaft und die Liebe in jedem Alter. Ich kann den Roman sowohl notorischen Einzelgänger*innen als auch überzeugten Familienmenschen sehr empfehlen! PS: Das Buch wurde 2019 unter dem Titel "Il pleuvait des oiseaux" verfilmt. Die Fakten Ein Leben mehr Jocelyne Saucier Sonja Finck (Übersetzung aus dem Französischen) Insel Verlag 192 Seiten Erschienen 2015 (als Hardcover) ISBN: 978-3-458-36189-3 (Taschenbuch) Leseprobe und mehr beim Insel Verlag (Suhrkamp) Like it? Pin it! Magst du diesen Buchtipp? Dann freue ich mich sehr, wenn du den Pin dazu auf Pinterest teilst. Natürlich kannst du auch sonst in den Social Media oder im realen Leben drüber sprechen!
- Ein bisschen Wahnsinn muss sein
Weshalb ich diese Buchbesprechung fast nicht schreiben konnte und wieso ein bisschen Wahnsinn vielleicht ganz gut tut, erfahrt ihr in diesem Beitrag über "Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte" von Dita Zipfel, mit Illustrationen von Rán Flygenring. Eins vorneweg: Das Buch ist irrsinnig gut! Okay, sorry, das Wortspiel musste sein. Denn es ist auch nichts als die Wahrheit. Wobei man sich nach der Lektüre von "Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte" wohl öfter überlegt, was nun wahr ist und was nicht. Aber beginnen wir mal bei der Geschichte. Vom Hundesitter zur Kochbuchautorin Lucie Schmurrer braucht unbedingt einen Job, einen der so richtig die Kasse klingeln lässt. Sie möchte nämlich mit ihren 13 Jahren schon von zuhause ausziehen und bei Bernie (Bernardine, Ex-Freundin von Lucies Mutter) in Berlin einziehen. Grund dafür ist "der Michi", der nervige Freund ihrer Mutter, der gerne Walgesang lauscht, seine Mitmenschen ungefragt mit Liebe, Achtsamkeit und Empathie überschüttet und mit gut gemeinten, aber schlechten Sprüchen beglückt. Da scheint Lucie mit dem sehr gut bezahlten Hundesitter-Job bei Herrn Klinge den Jackpot geknackt zu haben (mit Schweigegeld bringt der 22 Euro pro Stunde). Es stellt sich allerdings heraus, dass der Hund nicht mehr lebt und Herr Klinge - der Typ "Adventurer" mit Multifunktionskleidung in Grün und 1'000 Taschen - ist... naja, sagen wir es so: Er ist etwas seltsam. Er ist zwar uralt (Dita Zipfel meint, so 186 Jahre), aber seine Reaktionen sind fast schneller als das Licht und er leidet unter dezentem Verfolgungswahn. Trotz anfänglicher Bedenken stellt er Lucie, die er nur "Mädchen" nennt, ein. Statt Hundesitterin ist sie nun seine persönliche Sekretärin und soll seine mehr als komischen Rezepte für einen Liebestrank aus Drachenherzen (Tomaten) und Feenzähnen (Mais) oder Ghulacamole zu einem Kochbuch verdichten. Oh, Entschuldigung, es ist natürlich viel mehr als das. Herr Klinge nennt es: "den Schlüssel für das Tor zur Torheit, den Dietrich zu dem Buch mit den sieben Siegeln! ... ein Manifest der Möglichkeiten!". (S. 23) Wie auch immer. Lucie ist zwar äusserst skeptisch, ob es die Fabelwesen, die sich Herr Klinge so lebhaft vorstellt, gibt und ob sich die Schlinge (welche Schlinge das auch immer sein soll) tatsächlich zuzieht, aber den Liebestrank könnte man ja trotzdem mal ausprobieren. Zum Beispiel an Marvin. Lucie findet Marvin jetzt nicht wirklich gut, aber er gilt halt als coolster Junge der Schule, deshalb wählt sie ihn zum Zielobjekt. Die Sache läuft dezent aus dem Ruder, aber zum Glück gibt es noch Leo. Er versteht ganz schön viel vom Wahnsinn. Mehr will ich hier nicht verraten. Das müsst ihr selbst herausfinden. "Ich mache mit, egal ob er verrückt ist oder nicht. Was er höchstwahrscheinlich ist. Aber auch für Verrückte ist es schön, wenn irgendeiner einfach mitmacht." (S. 75) Vom Erwachsenwerden, von Familienproblemen und vom Wahnsinn Lucie steckt mitten zwischen Kindheit und Erwachsensein. Sie sucht ihren Platz in der Familie, im Freundeskreis (den sie nicht wirklich hat) und muss sich auch noch mit den Veränderungen auseinandersetzen, die das Erwachsenwerden so mit sich bringt. Stichwort Achselhaare! Gleichzeitig macht sie sich auch noch Gedanken über Herrn Klinge und ob seine Art der Weltsicht nun total wahnsinnig ist oder vielleicht doch ihre Berechtigung hat - zumindest ein ganz kleines Bisschen? "Als Erwachsener kann man Regeln einfach erfinden und verbiegen, Ausnahmen bestimmen und Widersprüche ignorieren. Ergebnis meiner Studien. Beweissubjekte: der Michi, die Haarklammerfrau, Klinge." (S. 65) Lucie ist richtig cool, gewinnt jede Menge schlaue Erkenntnisse, hält den Finger auf Ungerechtigkeiten (wieso sind eigentlich Rasierer für Frauen teurer als die für Männer?!), fühlt sich in ganz unterschiedliche Menschen ein (bei "der Michi" ist das echt schwierig!). Und an all dem lässt uns Autorin Dita Zipfel gewissermassen live und in Farbe teilhaben, einerseits durch den inneren Monolog der Ich-Erzählerin Lucie und andererseits durch die Illustrationen von Rán Flygenring. Die Illustrationen fügen sich wunderbar in den Text ein. Sie bebildern nicht einfach, was wir eh lesen, sondern sind Teil der Erzählung, bringen weitere Details ins Spiel, verdeutlichen Lucies Überlegungen, sind Listen, Skizzen, kleine Exkurse (z.B. über die verzwickte Sache mit der Vulva). Und genau da liegt das Problem. Nicht mit dem Buch, sondern mit der Besprechung hier. Kaum schlage ich eine Seite auf, lese und schaue ich mich auch schon wieder fest und möchte am liebsten gleich das ganze Buch nochmals lesen und nochmal Neues entdecken, Bekanntes nochmal anders lesen und mich einmal mehr weglachen. Ich hoffe sehr, dass der Wahnsinn bald weitergeht! Dita Zipfel schreibt richtig witzig, mit 1'000 lustigen Ideen und klugen Gedanken. Durch die Ich-Perspektive von Lucie sind wir richtig nah dran. Es hat einige Sprünge drin, Dinge, die nicht ganz auserzählt sind. So ist das Buch auch nicht leicht zu lesen und die Altersempfehlung ist mit 12 Jahren bestimmt gut gewählt. Fazit Mit Lucie hat Dita Zipfel in "Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte" eine richtig coole Protagonistin geschaffen, die sich mit viel Verständnis, schlauen Gedanken und noch mehr Witz durch das schwierige Leben einer 13-jährigen Jugendlichen schlägt und uns nebenbei ganz schön viel beibringt über Wahnsinn, Mitgefühl, Familienleben, Freundschaft und einiges mehr! Der Jugendroman ist obendrein fantastisch illustriert von Rán Flygenring. Er sollte unter keinem Weihnachtsbaum fehlen. Oder wenn es dafür zu spät ist, verschiebt einfach Weihnachten oder setzt die Geldgeschenke von Omas und Onkels schlau ein! Die Fakten Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte Dita Zipfel (Text) Rán Flygenring (Illustration) Hanser Verlag 208 Seiten Erschienen am 19.08.2019 ISBN: 978-3-446-26444-1 Ab 12 Jahren Website von Dita Zipfel Website von Rán Flygenring Like it? Pin it! Magst du diesen Buchtipp? Dann verbreite ihn doch in der digitalen Welt! Zum Beispiel mit diesem Pin. Herzlichen Dank!
- Etwas Lyrik fürs Fest
Seid ihr nicht so die grossen Sängerinnen oder Flötenspieler oder könnt, was man sonst so tut vorm Weihnachtsbaum? Dann versucht es doch wie wir mal mit "vier kerzen drei könige zwei augen ein stern" von Arne Rautenberg und Katrin Stangl! "vier kerzen drei könige zwei augen ein stern" ist ein feines Büchlein mit 24 Weihnachtsgedichten. Jetzt nicht so lahmes Zeug, sondern echt coole Gedichte. Mal gereimt, mal nicht. Mal kurz, mal lang. Mal witzig, mal besinnlich, mal laut, mal leise, mal böse, mal einfach schön. Aber immer ohne Punkt und Komma und in Kleinbuchstaben. Alles dabei, was das Weihnachtsfest braucht Da wird dem "kleinen bruder helfend über die schulter" geschaut. Für Marietta gibt's Lametta. Die Waldtiere schmücken den Baum - "mit hasenfell und gänsefeder". Natürlich gibt es auch Schnee. Und Leckereien - "aus schokolade"! Und auch die Weihnachtsgans darf nicht fehlen. Zum Glück landet sie nicht auf dem Tisch, sondern kriegt schnell einen Namen. In dem kleinen Bändchen trefft ihr auch Rentier Rudolf... und seinen Zwillingsbruder Ludolf! Und natürlich gibt es Geschenke, Kerzen, Christbaumkugeln. Und wem das alles nicht gefällt, der wünscht sich vielleicht statt Weihnachten "zweinachten"... "oder ganz laut schreinachten"! Jedenfalls sind die Gedichte von Arne Rautenberg alle toll und von Katrin Stangl wunderbar mit Bildern in Blau, Weihnachtsrot, Schwarz und Weiss illustriert. Wenn ich mich für einen Favoriten entscheiden müsste, wäre es wohl "der weihnachtsfloh". Wer das ist und was er so treibt, müsst ihr selbst herausfinden! teddybär an eisenbahn: lass uns noch ne runde fahrn! eisenbahn an teddybär: ich kann nicht mehr du bist zu schwer! Arne Rautenberg Empfehlenswert ist das Buch ab etwa 5 Jahren und, wie der Peter Hammer Verlag selbst meint, für alle. Das kann ich nur bestätigen! Wenn die Kinder noch an den Weihnachtsmann glauben (sollen), würde ich eins der Gedichte auslassen. Ansonsten bereiten sie ganz bestimmt Klein und Gross im Advent, an Heiligabend und Weihnachten viel Freude. Fazit "vier kerzen drei könige zwei augen ein stern" mit Gedichten von Arne Rautenberg und Illustrationen von Katrin Stangl ist was für alle, die Weihnachten gerne mögen und finden, die besinnliche Zeit kann auch etwas Humor vertragen. Neben guter Unterhaltung, Wortwitz und schönen Bildern bietet das Bändchen auch eine gute Hinführung an die Welt der Lyrik. PS: Herzlichen Dank an den Peter Hammer Verlag für das Rezensionsexemplar! Die Fakten vier kerzen drei könige zwei augen ein stern 24 Weihnachtsgedichte Arne Rautenberg (Text) Katrin Stangl (Illustration) Peter Hammer Verlag 32 Seiten Erschienen am 8. Juli 2019 ISBN: 978-3-7795-0620 Ab 5 Jahren Website von Katrin Stangl Website von Arne Rautenberg Like it? Pin it! Magst du Humor unterm Weihnachtsbaum? Dann freue ich mich sehr, wenn du die gute Laune auf Pinterest teilst!
- Die Stimme der Frauen
In "Wenn nicht ich, wer dann?" lässt Anna Russell Frauen zu Wort kommen. Sie hat rund 50 besondere Reden von 50 eindrücklichen Frauen ausgewählt. Ein Buch, das inspiriert und Mut macht, die Stimme zu erheben! Verschiedene Initiativen wie Frauen zählen #, #frauenlesen oder jüngst der #autorinnenschuber auf Instagram versuchen, schreibenden Frauen mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. Ebenso tun dies Blogs wie Nacht und Tag oder Female Writers Club, der Podcast Frauen schreiben auch. Andere wie #dichterdran machen sich stark für eine gleichwertige Rezeption der männlichen und weiblichen Autor*innen. Denn es gibt sie ja, die schreibenden Frauen, sie werden nur nicht so oft besprochen, so intensiv beworben, so häufig verlegt, so wohlwollend beurteilt und entsprechend auch weniger gelesen. Anna Russell geht nun noch einen Schritt weiter und hat sich vorgenommen, eindrückliche, bewegende, wichtige Reden grosser Frauen bekannter zu machen. Und wie sie einleitend beschreibt, war das zunächst gar nicht so einfach, denn die gängigen Anthologien mit Reden versammeln vor allem eins: Reden von Männern. Also musste sie sich anderweitig auf die Suche machen und wurde fündig. Und zwar so, dass ihr die Auswahl am Ende schwer fiel. "Dass wir die Wahrheit aussprechen, wird einige Leute ärgern. Doch dann wird unser Sprechen es anderen Frauen erlauben, ebenfalls zu sprechen, bis Gesetze geändert und Leben gerettet werden und die Welt für immer eine andere ist." - Naomi Wolf, Autorin, 1992 (S. 105) Von der Suffragette bis zur youtube-Aktivistin Entstanden ist eine bunte Mischung von Reden "grosser Frauen". Anna Russell betont, dass es "keine Heldinnen und keine Heilige" seien, sondern echte Menschen - mit Fehlern, Widersprüchen und teilweise problematischen Ansichten. Sie hat deshalb Reden herausgegriffen, die eine politische oder geschichtliche Wirkung hatten - sei es nun offensichtlich in Form von Revolutionen oder eher still, indem sich langsam die Einstellungen der Zuhörer*innen veränderten. Zeitlich bewegen sich die Reden zwischen 1588 und 2018. Die älteren Reden sind stark angelsächsisch geprägt. Das ist wohl einerseits der Herkunft und Muttersprache Anna Russells geschuldet, andererseits aber auch der Stellung der Frauen in den jeweiligen Weltregionen und dem Fakt, ob Reden überhaupt schriftlich festgehalten wurden oder nicht. Je näher wir an die Gegenwart rücken, umso vielfältiger werden die Herkunft der Rednerinnen und die Inhalte der Reden. So lauschen wir den Worten von Sklavereigegnerin Maria Stewart, von Frauenrechtsaktivistin Sojourner Truth oder von Suffragetten wie Mary Church Terrell und Nellie McClung. Wir lesen, was so unterschiedliche Nobelpreisträgerinnen wie Marie Curie (Nobelpreis für Physik und Chemie), Malala Yousafzai (Friedensnobelpreis) oder Ellen Johnson Sirleaf (Friedensnobelpreis) zu sagen hatten. Wir kleben an den Lippen von Staatsfrauen wie Königin Elizabeth I., Simone Veil (Gesundheitsministerin von Frankreich, 1974-79), Margaret Thatcher, Indira Ghandi und Angela Merkel. Die Rede von Letzterer sollte Herr Trump einmal lesen! "Ich bin überzeugt: So wie wir im 20. Jahrhundert die Kraft hatten, eine Mauer aus Stacheldraht und Beton zu Fall zu bringen, so haben wir auch heute die Kraft, Mauern des 21. Jahrhunderts zu überwinden - Mauern in unseren Köpfen, Mauern eines kurzsichtigen Eigeninteresses, Mauern zwischen Gegenwart und Zukunft." - Angela Merkel, Bundeskanzlerin von Deutschland (seit 2005), S. 125 Wir erfahren, was uns Autorinnen wie Virginia Woolf, Toni Morrison oder J. K. Rowling jenseits ihrer Bücher mitzuteilen haben. Und wir bewundern die aufrüttelnden Worte von Aktivistinnen wie Severn Cullis-Suzuki für die Umwelt, von Emma Watson für Frauenrechte oder Manal al-Sharif für dasselbe in Saudi-Arabien. "..., es geht darum, am Lenkrad unseres eigenen Schicksals zu sitzen und dass wir nicht nur die Freiheit haben zu träumen, sondern die Freiheit zu leben." - Manal al-Sharif, Frauenrechtsaktivistin aus Saudi-Arabien, 2012 (S. 135) Von einigen Rednerinnen finden sich die Statements natürlich auch auf youtube. Hier zwei Beispiele, die mich im Buch besonders beeindruckt haben: Asmaa Mahfouz, politische Aktivistin, deren Video-Blog half, die ägyptische Revolution zu entfachen. Severn Cullis-Suzuki, Umweltaktivistin, die mit nur 12 Jahren an der Konferenz der UNO über Umwelt und Entwicklung sprach. Sie war gewissermassen die Greta Thunberg der 1990er-Jahre. Die Parallelitäten sind verblüffend! Da die Reden auf jeweils zwei bis vier Seiten Platz finden müssen, sind sie teilweise nur gekürzt abgedruckt. Aber das Tolle ist, dass der Sieveking Verlag viele der Reden in ihrer vollen Länge auf einer Website präsentiert, so dass Interessierte den vollständigen Wortlaut nachlesen können. Ebenso hilfreich sind jeweils die einleitenden Worte von Anna Russell, die kurz den Werdegang der Persönlichkeit und die Umstände der Rede erklären. "Woran liegt es, dass Länder, die wir "stark" nennen, so erfolgreich darin sind, Kriege anzufangen, aber so schwach darin sind, Frieden zu schaffen? Warum ist es so einfach, Gewehre zu verteilen, aber so schwer, Bücher zu verteilen?" - Malala Yousafzai, Aktivistin für weibliche Bildung, 2014 (S. 142) Fazit In "Wenn nicht ich, wer dann?" hat Anna Russell 50 bewegende Reden von aussergewöhnlichen Frauen versammelt. Reden, die die Welt verändert haben. Reden, die neue Erkenntnisse verbreitet haben. Reden, die den Schwachen, den Benachteiligten, den Gefährdeten und Unterdrückten eine Stimme verliehen haben. Reden, deren Worte bis heute nachhallen. Mit den wunderbaren grafischen Illustrationen von Camila Pinheiro liegt ein Buch vor, das sich auch ideal als Geschenk eignet. Für alle, die sich inspirieren lassen möchten, die Mut schöpfen wollen oder die Motivation brauchen, eigene Wege zu gehen! PS: Die Postkarte im Titelbild dieses Artikels bekommt ihr bei tadah.ch. Diese stammt aus der Sammlung "Motivation", es gibt weitere zu den Themen "Gratulation", "Danke" und "Geburtstag". PPS: Herzlichen Dank an den Sieveking Verlag für das Rezensionsexemplar. Die Fakten Wenn nicht ich, wer dann? Grosse Reden grosser Frauen Anna Russell (Text) Camila Pinheiro (Illustrationen) T.J. Evans, S. Kleemann, S. Link, K. Lohmann, A. O'Brien, V. Siegemund, R. Unger (Übersetzung aus dem Englischen) Sieveking Verlag 176 Seiten Erschienen im September 2019 ISBN: 978-3-944874-87-6 Like it? Pin it! Dir gefällt mein Buchtipp? Dann ab damit auf dein Pinterest-Board! Auch sonst freue ich mich, wenn du die Inspiration teilst! Danke.
- Spuren im Schnee
(Werbung/Verlosung) Was wünscht sich wohl eine Maus, wenn sie eine Sternschnuppe entdeckt? Ihr erfahrt es im Bilderbuch "Eine Sternschnuppe im Schnee" von Yumi Shimokawara. Ich darf ein Exemplar an euch verlosen. Eine Sternschnuppe und ein Wunsch Es ist Winter. Überall liegt Schnee. Es ist wunderbar weiss. Eines Abends schaut die Maus in den Himmel und entdeckt eine Sternschnuppe. Sie wünscht sich, ihren Freund den Maulwurf bald wiederzusehen, denn sie vermisst ihn sehr. Und weil der Maulwurf ihr im Sommer erzählt hat, dass ein Wunsch in Erfüllung gehe, wenn man die Sternschnuppe finde, möchte sie den heruntergefallenen Stern unbedingt suchen. Die Spur im Schnee Und tatsächlich: Am nächsten Morgen sieht sie sonderbare Spuren im Schnee und beginnt ihnen zu folgen. Sie ist überzeugt, dass es sich um die Spuren der Sternschnuppe handelt. Nach und nach schliessen sich der Maus andere neugierige Tiere an. Zuerst das Eichhörnchen, dann ein Hase, ein Fuchs und ein Waschbär und einige mehr. Die anderen Tiere sind allerdings äusserst skeptisch und wollen nicht so recht an die Vermutung der Maus glauben. Doch diese lässt sich nicht beirren und geht weiter. Der Mut zahlt sich aus, denn am Ende der Spur findet die Maus tatsächlich etwas. Es ist zwar keine Sternschnuppe, aber dafür ihr Freund, der Maulwurf. Und wer weiss, wenn dieser Wunsch schon in Erfüllung gegangen ist, wieso dann nicht auch ein zweiter?! Von Wünschen und Freundschaft Die japanische Autorin und Illustratorin Yumi Shimokawara erzählt in ihrem Bilderbuch eine wunderschöne Geschichte von Wünschen und von Freundschaft. Die äusserst realistischen, detailreichen Illustrationen auf dem weissen, tief verschneiten Hintergrund sind so ausdrucksstark, dass wir uns den Tieren ganz nah und verbunden fühlen. Shimokawara transportiert die Gefühle der Tiere unglaublich stark: Wir sehen die Neugier in den Augen, die Unsicherheit, die Freude in ihrer Haltung, die Zuneigung. Fazit Yumi Shimokawara ist mit ihrem Bilderbuchdebüt das schönste Winterbuch der Saison gelungen! Mit naturalistischen Illustrationen und feinfühligem Text erzählt sie Kindern ab 3 Jahren eine Geschichte über Freundschaft und das Wünschen. Wenn wir das nächste Mal eine Sternschnuppe sehen, wünschen wir uns auf jeden Fall ganz fest etwas! Die Fakten Eine Sternschnuppe im Schnee Yumi Shimokawara (Text + Illustration) Gwendolin Peer (Übersetzung aus dem Japanischen) Atlantis Verlag 32 Seiten Erschienen am 20.09.2019 ISBN: 978-3-7152-0774-2 Ab 3 Jahren Verlosung auf Instagram Auf meinem Instagram-Account @mintundmalve verlose ich im Rahmen der Aktion #vorleseadvent von Steffie alias @kleinerleser ein Exemplar von "Eine Sternschnuppe im Schnee". Herzlichen Dank an Atlantis (ein Imprint von Orell Füssli Verlag) für das Rezensions- und das Verlosungsexemplar! Die Teilnahmebedingungen entnehmt ihr dem Instagram-Post, der ab dem 13.12.2019 aufgeschaltet ist. Viel Glück! Eure Eliane PS: Wenn ihr über meine Verlosungen und neue Blogbeiträge auf dem Laufenden gehalten werden möchtet, abonniert gerne meinen kostenlosen Newsletter, der ungefähr einmal im Monat erscheint. Like it? Pin it! Magst du diesen winterlichen Buchtipp? Dann freue ich mich sehr, wenn du ihn dir auf Pinterest merkst. Oder wenn du in den Social Media darüber sprichst! Natürlich freue ich mich auch über einen Kommentar unterhalb dieses Beitrags.
- Der blaue Engel
In seinem Roman "Im Licht der Zeit" erzählt Edgar Rai die unglaubliche Geschichte eines der ersten grossen Tonfilme Deutschlands und damit vom grossen Durchbruch der Marlene Dietrich. Ein Buchtipp für das nächste verregnete Wochenende! Edgar Rai hat sich mit diesem Buch den Anfängen von Marlene Dietrich als Filmschauspielerin angenommen und damit auch dem Anfang des Tonfilms. Der Autor wirft zuerst einen Blick in Marlenes Leben während dem Ersten Weltkrieg. Schon zu der Zeit, als Jugendliche, war sie sehr selbstbewusst. Sie himmelte Henny Porten - die damalige Übermutter des deutschen Stummfilms - nicht nur an. Nein, beim ersten Zusammentreffen verführte sie sie regelrecht. Schon da war Marlene klar, dass sie nicht den gut bürgerlichen Weg einschlagen würde: "Frauen hatten sich aufzuopfern, für was auch immer, am besten für einen Mann. Das war nicht sie, würde es niemals sein. (...) Sicher konnten Entsagung und Hingabe einer Frau Erfüllung geben und sollten es vielleicht auch. Nicht aber ihr." (S. 25) Wäre es nach Marlenes Mutter gegangen, wäre sie Konzertgeigerin geworden. Aber ihre Tante Vally prophezeite schon damals, dass es Marlenes Beine noch weit bringen würden und so verwunderte es niemanden, als sie vorerst zum Revue-Girl wurde und mit einem Varieté durchs Land tourte. Marlenes Plan war es aber immer, Schauspielerin zu werden. Ihre ersten Ausflüge zum Film (Stummfilm) waren nicht gerade von Erfolg gekrönt. Von der Kritik wurde sie verrissen. Heimlicher Star des Romans ist, neben der damals noch relativ unbekannten Theaterschauspielerin, Karl Vollmöller, seines Zeichens "dramaturgischer Mitarbeiter" der Ufa (1917 gegründetes Filmunternehmen). Die Berufsbezeichnung verrät es schon: Den Beruf gab es eigentlich gar nicht. Die Stelle bei der Ufa scheint eigens für Karl Vollmöller geschaffen worden zu sein und er war der einzige, der diese auch ausfüllen konnte. Er war der Strippenzieher im Hintergrund, er hielt alle Fäden zusammen, spinnte gezielt Intrigen, schmiedete waghalsige Pläne und setzte sie mithilfe seiner einflussreichen Freunde und seines taktischen Geschicks in die Tat um. Im Mittelpunkt von "Im Licht der Zeit" steht Vollmöllers Plan, das Unmögliche möglich zu machen: Erstens von Schriftsteller Heinrich Mann die Rechte an "Professor Unrat" zu kaufen, zweitens die Ufa dafür zu gewinnen, den zweiten (und mit 2 Millionen Reichsmark unfassbar teuren) Tonfilm der deutschen Geschichte zu produzieren, drittens die bis aufs Blut verfeindeten Josef von Sternberg (Regisseur) und Emil Jannings (weltberühmter Stummfilmstar) für die Produktion zu engagieren, viertens eine geeignete Schauspielerin für die Rolle der Femme fatale Lola Lola zu besetzen. Die Rolle, die im Verlauf der Geschichte Marlene Dietrich zufallen sollte, einer bis dahin weitgehend unbekannten Schauspielerin. Zeitgeschichte und Filmgeschichte treffen aufeinander Im gesamten Roman bekommen wir durch Einschübe von Zeitungsartikeln zu Beginn jedes Kapitels einen Einblick ins Zeitgeschehen. So gelingt es Edgar Rai geschickt, Marlenes Leben, die Entwicklung des Filmgeschäfts und die Geschichte Deutschlands zu verweben - sei es nun mit Berichten über die erstarkenden Nationalsozialisten, die zunehmende Judenverfolgung oder Kritiken zu Film- und Theatervorstellungen. So verleiht Rai der ganzen Handlung am Ende der Goldenen Zwanziger eine gewisse Dringlichkeit. Das Damoklesschwert der nationalsozialistischen Machtübernahme und z.B. Goebbels' Einflussnahme als Reichspropagandaleiter auf das Filmgeschäft schwebten die ganze Zeit über dem Projekt "Der blaue Engel". Kam hinzu, dass der damalige Direktor der Ufa Alfred Hugenberg Nazi-Anhänger war und auf keinen Fall Wind davon bekommen durfte, was da wirklich gedreht wurde und v.a. wie freizügig und selbstbewusst Marlene alias Lola Lola in dem Film auftrat. Schliesslich waren zahlreiche Involvierte auch noch Juden und Jüdinnen, allen voran der Produzent Erich Pommer und der Komponist Friedrich Hollaender. Auch wenn wir nun den Ausgang der Geschichte schon kennen ("Der blaue Engel" wurde ja Tatsache und ein riesiger Erfolg), zieht uns Edgar Rai mitten hinein in die Irrungen und Wirrungen dieser Mammut-Produktion und der damaligen Herausforderungen - wider das Spiessbürgertum der Nazis, wider die Grenzen der Technik und der Geldreserven der Ufa, wider die Lobpreisungen des guten alten Stummfilms und wider die davonlaufende Zeit. Hinzu kamen die zwischenmenschlichen Stolpersteine, gegenseitige Empfindlichkeiten, private Verstrickungen, diverse Ausschweifungen und die an Wahnsinn grenzenden Wesenszüge gewisser Involvierter. Fazit Edgar Rai gelingt es in seinem Roman "Im Licht der Zeit" spannend, witzig und mitreissend von Marlene Dietrichs grossem Durchbruch im Filmgeschäft zu erzählen. Der Autor verbindet gekonnt die Geschichte vom "Blauen Engel" mit der Zeitgeschichte der Goldenen Zwanzigerjahre und des aufkeimenden Nationalsozialismus. So zeichnet er nicht nur ein spannendes Bild der menschlichen Beziehungen (und Dramen) und der Produktion eines der ersten Tonfilme aus deutscher Hand, sondern auch ein Abbild der damaligen gesellschaftlichen und politischen Konventionen und Umbrüche. Den 500-seitigen Schmöker kann ich nicht nur Filmfans empfehlen, sondern allen, die sich für eine durch und durch unkonventionelle Frau interessieren. PS: Herzlichen Dank an den Piper Verlag für das Rezensionsexemplar. Die Fakten Im Licht der Zeit Edgar Rai Piper Verlag 512 Seiten Erschienen am 05.08.2019 ISBN: 978-3-492-05886-5 Interview mit Edgar Rai und Leseprobe bei Piper Like it? Pin it! Magst du diesen Buchtipp? Dann freue ich mich sehr, wenn du dir diesen Pin bei Pinterest merkst.

















