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Galatea - eine Neuerzählung des Pygmalion-Mythos

Heute habe ich ein kleines, aber besonders edles Büchlein für euch: In "Galatea" erzählt Madeline Miller den Mythos von Pygmalion neu bzw. weiter - diesmal aus weiblicher Perspektive. Thomke Meyer ergänzt die Erzählung um seine opulenten Illustrationen.



Im Sommer habe ich Madeline Millers "Ich bin Circe" gelesen und fand es richtig gut. Da habe ich mich natürlich über die Ankündigung des Eisele Verlags gefreut, dass mit "Galatea" bald ein weiteres Werk der amerikanischen Autorin mit dem Händchen für mythologische Stoffe erscheinen wird.


Das schmale Bändchen enthält eine kurze Erzählung von Madeline Miller, ein Vorwort von der Autorin und einem Nachwort von Andreas Knabl. Thomke Meyers Illustrationen, die mich an Bilder im Jugendstil wie von Alfons Mucha erinnern, machen das Buch komplett und machen ein schönes Geschenk daraus. In der englischen Ausgabe, die ich mir heute angeschaut habe, gibt es nur ein Nachwort der Autorin (entsprechend dem Vorwort auf Deutsch), das Cover fällt weniger edel aus und die Illustrationen fehlen ganz. Ein Hoch also einmal mehr auf den Eisele Verlag für die tolle Adaption des Originals!



Alten Stoff neu erzählen - mit feministischer Färbung

Den Pygmalion-Mythos gibt es in zahllosen Varianten, nicht nur in Buch-, sondern auch in Film- oder Musicalform. Madeline Miller bezieht sich auf Ovids Version in den "Metamorphosen". Die Geschichte handelt vom Bildhauer Pygmalion, der von den Prostituierten angewidert ist und ganz auf weibliche Gesellschaft verzichtet. Dafür schafft er sich eine Frauenstatue aus Elfenbein. Pygmalion verliebt sich in die Statue und betet zur Göttin Venus, diese zum Leben zu erwecken, was tatsächlich passiert. Er heiratet die menschgewordene Statue, bekommt ein Kind mit ihr und lebt glücklich mit ihr bis ans Lebensende. Das Ende der Geschichte hat Ovid sehr knapp geschildert, es wurde aber mit der Geburt des Kindes meist als Happy End interpretiert.


Madeline Miller setzt nun am Ende von Ovids Version an und erzählt die Geschichte weiter, aber ganz neu. Bei ihr erhält Ovids namenlose Statue/Frau den Namen "Galatea", Pygmalion hingegen wird zum namenlosen "Gatten". Galatea findet sich in einer engen Kammer, wo sie von Schwestern und Ärzten argwöhnisch bewacht wird. Weshalb sie hier ist, wissen sie und die Leser*innen nicht, aber sie soll möglichst ruhig liegen und kriegt ab und zu Tee eingeflösst. Immer wieder kommt ihr Gatte vorbei und sie muss ihre Erweckung von der Statue zum Menschen aus Fleisch und Blut mit ihm nachspielen. Danach hat er Sex mit ihr. Galatea spielt dieses Spiel mit, in der Hoffnung, ihrer Tochter Paphos wieder zu begegnen und ihr ein besseres, freieres Leben ermöglichen zu können.


Wie wir aus dem Vorwort erfahren und in der Umsetzung merken, setzt Madeline Miller mit ihrer Erzählung einen Kontrapunkt zur männlichen perspektive, die weibliche sexuelle Unberührtheit fetischisiert, den Mann in der Kontrolle über die Frau sieht und die Frau zum Objekt degradiert, dessen Daseinszweck einzig in der Zufriedenstellung des Mannes besteht.


"Ich glaube, mein Gatte hatte nicht erwartet, dass ich sprechen können würde. (...) Als er wünschte, ich möge zum Leben erwachen, hatte er sich vorgestellt, dass ich genau so bleiben würde, wie ich war, nur warm, damit er mich vögeln konnte." (S. 32)

Um die Spannung nicht wegzunehmen, möchte ich nicht die ganze Handlung vorwegnehmen, aber auf jeden Fall, haben wir es bei Miller mit einer Galatea zu tun, die vom Objekt zum Subjekt wird, die spricht, die ihren Willen hat, die sich um die Freiheit ihrer Tochter sorgt, die ihr Leben in die Hand nimmt und ihrem Gatten, der sie faktisch nicht nur grob behandelt und zu kontrollieren versucht, sondern auch noch vergewaltigt, die Stirn bietet.


Madeline Miller erzählt wie gewohnt packend, in eleganter Sprache, direkt und drastisch, aber immer auch mit einem Quäntchen Humor.


Fazit

Madeline Millers Fortschreibung des Pygmalion-Mythos in "Galatea" ist ein Anschreiben gegen das Patriarchat und eine weibliche Auflehnung gegen den "male gaze" in ganz vielen Interpretationen dieses mythologischen Stoffs. Das Buch weist damit über die eigentliche Geschichte hinaus und wirft ein ganz neues Licht auf Filme wie "Pretty Woman" oder Musicals wie "My Fair Lady". Eine grosse Leseempfehlung verknüpft mit der Hoffnung auf noch mehr stereotypensprengende Lektüre von Madeline Miller!


Die Fakten

Madeline Miller (Text)

Thomke Meyer (Illustration)

Ursula C. Sturm (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch)

Eisele Verlag

80 Seiten

Erschienen am 19.10.2022

Hardcover

ISBN: 978-3-96161-141-6





PS: Herzlichen Dank an den Eisele Verlag für das Rezensionsexemplar.



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