Genderqueer - Eine nichtbinäre Autobiografie
"Genderqueer" ist eines der in den USA am häufigsten aus Bibliotheken verbannten Bücher. Natürlich nicht der einzige, aber sicher ein guter Grund, gerade diese autobiografische Graphic Novel von Maia Kobabe zu lesen.
"Genderqueer - Eine nichtbinäre Autobiografie" von Maia Kobabe können wir dank dem Reprodukt Verlag und der Übersetzung von Matthias Wieland fünf Jahre nach dem Erscheinen im englischen Original nun endlich auch auf Deutsch entdecken. Und ich hoffe sehr, dass es im deutschsprachigen Raum nicht solchen - meiner Meinung nach total unberechtigten - Gegenwind erhalten wird wie in den USA durch die sogenannten Book Bans (mehr über diese Verbotsbestrebungen gegen verschiedenste LGBTQIA+-Bücher habe ich in diesem Artikel geschrieben, Maia Kobabe hat Interviews zum Thema und andere Ressourcen hier zusammengetragen (auf Englisch)). Denn diese Autobiografie in Form einer Graphic Novel sollte alle Personen erreichen, die sich mit ihrer Genderidentität irgendwo zwischen den sozial konstruierten Polen von Mann und Frau befinden und deren sexuelle Orientierung nicht in die heteronormative Norm (auch sie natürlich ein soziales Konstrukt) "passt". Und fast noch wichtiger finde ich diese Lektüre für alle, die sich auf der Suche nach ebendieser Identität oder Orientierung befinden. Eine konkrete Altersempfehlung gibt der Verlag nicht ab. Ich würde sagen, wenn man mit zwei, drei blutigen Bildern umgehen kann, kann man diese Lektüre ab 16 Jahren gut verdauen.
Maia Kobabe nimmt uns mit in die Kindheit in einer abgelegenen Region Kaliforniens, wo das biologische Geschlecht oder das soziale Gender eine relativ kleine Rolle spielten. Ihre Eltern drängten Maia, bei der Geburt als Mädchen definiert, weder in die eine noch in die andere Richtung. Für die Eltern selbst hatten traditionelle Geschlechterrollen wenig Bedeutung. Doch die Konfrontation mit der geschlechtlichen Identität war (natürlich) unausweichlich, sobald Maia in die Schule kam. Schon da spürte Maia eine Abneigung dagegen, in eine bestimmte Rolle gepresst zu werden. Und war irritiert, wenn die Lehrerin sie auf dem Schulausflug nicht oben ohne baden lassen wollte.
So richtig schwierig wurde es für Maia dann mit der Pubertät, weil die Hormone den Körper weiblicher werden liessen. Maia wünschte sich, kein Mädchen bzw. keine junge Frau zu sein. Aber war Maia ein Junge, ein Mann? Nein, vielleicht eher irgendwie neutral? Sehr gefühlvoll nimmt uns Maia Kobabe mit in das Gefühlschaos der Teenagerjahre - das ja sowieso schon gross ist - aber in diesem Fall nochmals extremer. Ohne Tabus spricht Maia Kobabe über Schwärmereien, Masturbation, die Suche nach der eigenen Identität und immer wieder die Konfrontation mit den gesellschaftlichen Erwartungen. Besuche bei der Gynäkologin waren der Horror für Maia, Albträume rund um Menstruationsblut begannen Maias Nächte zu prägen.
Zu einem Zufluchtsort für Maia wurde die "Queer-Straight-Alliance", wo sich Schulkolleg*innen mit LGBTQ+-Themen auseinandersetzten. Auch mit Schwester Phoebe konnte Maia über Gefühle und Wünsche sprechen. Nach und nach nähert Maia sich Begriffen wie lesbisch, bisexuell, transgender, androgyn, asexuell etc. und versucht, sich auf den Spektren der geschlechtlichen Identität und der sexuellen Orientierung irgendwo selbst zu verorten. Maia setzt sich mit dem eigenen Körper genauso auseinander wie mit Sexualität oder der Wahl von Pronomen.
Die Zeichnungen von Maia Kobabe transportieren die Gefühle der Menschen eindrücklich, mal rein über Mimik und Gestik, mal über sehr sprechende Bilder. Die Illustrationen wunderbar koloriert hat Maia Kobabes Schwester Phoebe Kobabe.
Fazit
Mit "Genderqueer - Eine nichtbinäre Autobiografie" gibt Maia Kobabe einen sehr intimen, offenen, direkten und zuweilen witzigen Einblick in das Aufwachsen und die Identitätssuche als nichtbinäre Person. Auch für cis hetero Leser*innen werden Maia Kobabes Gefühle und Gedanken sehr gut nachvollziehbar. Und allen der LGBTQIA+-Community dürfte diese Graphic Novel in der einen oder anderen Beziehung aus der Seele sprechen.
Die Fakten
Maia Kobabe (Text + Illustration)
Phoebe Kobabe (Coloring)
Olav Korth (Handlettering)
Matthias Wieland (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch)
Reprodukt Verlag
240 Seiten
Erschienen am 07.05.2024
Taschenbuch
ISBN: 978-3-95640-415-3
Ab 16 Jahren
PS: Herzlichen Dank an den Reprodukt Verlag für das digitale Rezensionsexemplar. Das Copyright für die Bilder liegt ebenfalls beim Reprodukt Verlag.
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