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Gib mir mal die Hautfarbe - Mit Kindern über Rassismus sprechen

Wie spricht man mit Kindern über Rassismus? Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar haben mit "Gib mir mal die Hautfarbe" den wohl umfassendsten und praktischsten Ratgeber geschrieben. Er liefert Sachwissen, viele Beispiele und konkrete Checklisten und Tipps, um sich selbst auf den Weg der antirassistischen Erziehung zu begeben.


Gib mir mal die Hautfarbe - Mit Kindern über Rassismus sprechen - Olaolu Fajembola, Tebogo Nimindé-Dundadengar (Beltz 2021)

Autor*innen, die selber keine Fans von Ratgebern sind, schreiben einen Ratgeber zur rassismuskritischen Erziehung. Funktioniert das? Ja, das funktioniert sogar so gut, dass eine bekennende Ratgeber-Vermeiderin wie ich ganz begeistert ist.


Kinder rassistisch erziehen möchte wohl niemand. Davon gehen auch Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar aus. Wie sowohl dramatische Ereignisse rassistischer Gewalt als auch tagtäglich erlebte Mikroaggressionen zeigen, reicht eine nicht-rassistische Erziehung aber nicht aus. Deshalb möchten die Autorinnen mit ihrem Buch Eltern und andere Bezugspersonen dabei begleiten, Kinder antirassistisch zu erziehen.


"Dazu gehört, sich der eigenen Position und des Verwobenseins mit einer von Rassismus geprägten Gesellschaft bewusst zu werden." (S. 17)

Das heisst, man muss rassistische Strukturen verstehen, erkennen und dagegen handeln können, um Benachteiligungen für Menschen of Color nach und nach abbauen zu können. Das Buch richtet sich genauso an weisse Eltern, wie auch an Eltern von Kindern of Color, die im aktuellen System benachteiligt werden.


Wovon und wie sprechen wir eigentlich?

Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar steigen mit Begriffsklärungen in ihr Buch ein. Das klingt vielleicht auf Anhieb trocken, ist es aber gar nicht. Machen uns die verschiedenen Begriffe wie Schwarz, BIPoC oder Afrodeutsch und Negativbeispiele, die ich an dieser Stelle nicht reproduzieren möchte, deutlich, wie eng verknüpft Begrifflichkeiten einerseits mit schmerzhafter, diskriminierender Geschichte und täglicher Ausgrenzung verbunden sind und wie ermächtigend und identitätsstiftend andererseits selbstgewählte Bezeichnungen sein können.


Wichtig finde ich in dem Zusammenhang auch den Hinweis, dass wir nicht eine Freundin of Color oder einen Schwarzen Bekannten, die oder der für sich selbst eine rassistische Fremdbezeichnung nutzt, als Rechtfertigung nutzen, um die Fremdbezeichnung selbst zu verwenden.


"Keine Person sollte die Bürde der Repräsentation einer so heterogenen Gruppe wie die Schwarzer Menschen tragen." (S. 30)

Es ist nie zu früh für antirassistische Erziehung

In der Folge erklären die Autorinnen, wie Kinder rassistische Strukturen und ihre Regeln erlernen. Es geht um das Erkennen von Unterschieden, die (frühe!) Ausbildung von Vorurteilen, den (begrenzten) Einfluss der Eltern sowie die Auswirkungen von Rassismus auf die betroffenen Kinder. Letztere reichen von tieferem Selbstwert, über verringerte Resilienz bis zum Wunsch, weiss zu sein und zu dysfunktionalen Bewältigungsstrategien (z.B. Sucht).


Im Zusammenhang mit Rassismus hört man oft die Frage, wann denn der richtige Zeitpunkt sei, um mit den Kindern darüber zu sprechen. Auch ich habe mir diese Frage gestellt und bin im Gespräch mit anderen Eltern oft auf die Haltung gestossen, dass man das Gespräch darüber kleinen Kindern doch nicht zumuten könne, sie vor solchen Themen schützen müsse, solange es gehe. Hier überzeugen mich aber einerseits die dargelegten Fakten, wie früh Kinder phänotypische Unterschiede zwischen Menschen erkennen (mit 3 bis 6 Monaten) und wie früh sie die in der Gesellschaft vorherrschenden Vorurteile unreflektiert übernommen haben (mit 3 bis 5 Jahren) und andererseits das folgende Argument:


"Wenn nämlich die einen Kinder schon von früh an rassistische Erfahrungen machen, können wir nicht die Frage stellen, ob die anderen zu jung sind, um mit ihnen über Rassismus zu sprechen." (50)

Selbsterkenntnis und das Bewusstsein über die Durchdringung unserer Strukturen und unserer Sozialisation mit Rassismus mögen schmerzhaft sein. Aber nur so können wir das Problem erkennen, dagegen aktiv werden und vielleicht irgendwann überwinden. Entsprechend gehen die Autorinnen auf die Geschichte des Rassismus weltweit und speziell in Deutschland ein und zeigen uns anhand rassistischer Äusserungen, wie salonfähig rassistische Sprache in unserer Gesellschaft ist und wie offensichtlich "gut gemeint" noch nicht "gut gemacht" ist. Es reicht also nicht, sich als tolerant und weltoffen zu betrachten und sich vor den Kindern nicht diskriminierend zu äussern. Rassistische Strukturen reichen viel tiefer und wir müssen uns bewusst werden darüber, wie wir in ihnen verortet sind und wie wir sie (unbewusst) am Leben erhalten - egal, ob nun Schwarz oder weiss.


Wer bin ich und wo stehe ich in Bezug auf Rassismus?

Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar geben uns nicht nur eine Übersicht, welche Dimensionen eine Persönlichkeit ausmacht und welche unterschiedlichen Positionen es im ganzen System gibt. Mit konkreten Übungen zur Selbstreflexion regen sie uns dazu an, uns selbst aus intersektionaler Perspektive wahrzunehmen und im System von Diskriminierungen zu verorten sowie unsere Privilegien zu erkennen.


Diese Selbsterkenntnis bietet die Grundlage für die antirassistische Erziehung unserer Kinder. Auch hier ist "Gib mir mal die Hautfarbe" sehr konkret, indem wir zum Beispiel eine Anregung in 7 Schritten zum Gespräch mit Kindern über Rassismus oder Hilfestellungen für typische Alltagssituationen erhalten.


Danach erfahren wir, welche Rolle Rassismus in Kita und Kindergarten, in der Schule und im Spielzimmer spielt. Angesprochen werden unter anderem Kinderlieder, die einer rassismussensiblen Erziehung nicht standhalten. Auch die Problematik der kulturellen Aneignung (cultural appropriation) und damit von gewissen Karnevals- oder Fasnachtskostümen ist Thema. Ebenso problematisch sind häufig die Schulmaterialien, ganz zu schweigen von rassistischen Einstellungen, die zur systematischen Benachteiligung von Kindern of Color bei der Benotung führen. Als Eltern, Grosseltern und Bezugspersonen haben wir die Aufgabe, sowohl Kinderbücher als auch andere Medien (z. B. Games und Serien) rassismuskritisch unter die Lupe zu nehmen und mit diversen Kinderbüchern, Filmen, Serien oder Videospielen dagegenzuhalten. Dasselbe gilt für Spielzeug, wo sich die Palette an diversen Spielmaterialien zum Glück in den letzten Jahren stark erweitert hat - nicht zuletzt dank dem Onlineshop "Tebalou", den die beiden Autorinnen selbst gegründet haben.


Einige der empfohlenen Kinderbücher findet ihr auch auf meinem Blog: zum Beispiel in der Liste unten oder in den Übersichtsartikeln zum Thema "Klischeefrei Vorlesen" und "Vielfältig Vorlesen". Und selbstverständlich findet ihr weitere Buchtipps, die das Thema Rassismus oder allgemeiner Diversität und Vielfalt aufgreifen und euch bei der rassismussensiblen Erziehung in unterschiedlichen Altersstufen unterstützen.


Vielfältige Kinder- und Jugendbücher: Eliane zu Gast beim Podcast von "Die Angelones"

An dieser Stelle möchte ich euch den Podcast "Familie von A-Z" von "Die Angelones" empfehlen. Rita hat mich nämlich anfangs Jahr zum Gespräch über "Vielfältige Kinder- und Jugendbücher" eingeladen und natürlich auch gefragt, wie es dazu kam, dass ich mich mit dem Thema auseinandersetze und welche Tipps ich habe, um das Kinderbuchregal diverser zu gestalten. Eine Zusammenfassung der Podcastfolge findet ihr in diesem Blogbeitrag.


Ich freue mich, wenn ihr reinhört (diese Folge ist auf Hochdeutsch eingesprochen) oder gleich den Podcast "Familie von A-Z" (grösstenteils auf Schweizerdeutsch) abonniert.


Fazit

Der Ratgeber "Gib mir mal die Hautfarbe. Mit Kindern über Rassismus sprechen" von Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar ist ein Muss für jeden Haushalt mit Kindern, jede Kita, jede Spielgruppe, jede Schule, jede Aus- und Weiterbildungsstätte von pädagogischem Fachpersonal. Wünschenswert wäre auch, wenn Mitarbeitende von Verlagen, Buchhandlungen, Bibliotheken, Macher*innen von Kindersendungen und Gamedesigner*innen es zahlreich lesen würden. Leser*innen aller Hautfarben werden darin abgeholt und mit auf den Weg einer rassismussensiblen Erziehung genommen. Ein Buch, das einfach und anschaulich erklärt, beispielhaft vermittelt und ermächtigend ins Tun bringt. Von mir gibt es die allergrösste Leseempfehlung und die Hoffnung, dass es nicht beim Lesen bleibt!



Die Fakten

Olaolu Fajembola, Tebogo Nimindé-Dundadengar (Text)

Beltz & Gelberg

247 Seiten

Erschienen am 18.08.2021

Taschenbuch

ISBN: 978-3-407-86689-9




PS: Die Illustration auf dem Cover findet ihr übrigens im Jugendbuch "Ich so du so" von der Labor Ateliergemeinschaft, ebenfalls bei Beltz & Gelberg erschienen und in diesem Artikel besprochen.

PPS: Herzlichen Dank an Beltz & Gelberg für das Rezensionsexemplar.



Antirassistische Bücher für Kinder und Erwachsene bei mint & malve

In einer losen Serie stelle ich euch antirassistische Kinder- und Jugendbücher und begleitende Bücher zum Thema für Erwachsene vor.



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