Reservoir Bitches
- Eliane Fischer
- 30. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Du magst Romane und Kurzgeschichten gleichermassen? Dann findest du in "Reservoir Bitches", dem Roman in Storys von Dahlia de la Cerda die optimale Lektüre. Zumindest, wenn du nicht zu zart besaitet bist, denn die mexikanische Autorin zeigt die oft brutale Realität unterschiedlicher Frauenleben in ihren Geschichten ungeschönt.

"So wollte ich nicht sterben, nicht zwischen Blut und Scheiße. Meinen Tod hatte ich mir anders vorgestellt: mehr Rock ’n’ Roll, zumindest irgend ’ne Überdosis." / S. 13
Dahlia de la Cerda wirft uns mit ihren Geschichten mitten hinein in die Abgründe, das Verderben, den Machtmissbrauch, die sexualisierte Gewalt, denen mexikanische Frauen aus allen Schichten ausgesetzt sind. Wobei Dahlia de la Cerda diese Frauen nicht einfach als Opfer darstellt, sondern durchaus als aktive, bis zu einem bestimmten Grad selbstbestimmte Persönlichkeiten. Und die Protagonistinnen sind auch nicht nur brave Mädchen, fleissige Hausfrauen oder aufopferungsvolle Mütter, sondern rachelustige Bandenführerin, skrupellose Auftragskillerin, religiöse Fanatikerin, abgebrühte Narco-Braut.
"Nicht dass ich eine Wahl gehabt hätte. Aber erst als mir klar wurde, dass mein Apá und mein Macker zu nichts zu gebrauchen waren und ich meine Rachepläne selbst in die Hand nehmen musste, wurde ich so richtig warm mit der Idee. Ich war halt schon immer kompetent und weiß, was zu tun ist." / S. 25
Entsprechend lässt sich auch nicht so klar sagen, welche Situationen nun den gesellschaftlichen und familiären Umständen und welche eigenen Charakterschwächen oder falschen individuellen Entscheidungen zuzuschreiben sind. Selbstverständlich ist das immer ein Wechselspiel und Dahlia de la Cerda tut gut daran, keine Position zu beziehen bzw. den Leser*innen nicht alles auf dem Silbertablett zu präsentieren. Genau das macht die Erzählungen so vielschichtig und regt zum Nachdenken an. Besonders, wenn man diese raue Welt mexikanischer Drogenkartelle, machistischer sowie religiös durchwirkter Frauenunterdrückung, politischer Seilschaften und extremer Klassenunterschiede und Rassismus nicht aus eigener Erfahrung kennt.
"Wenn man sieht, was ein Gangsta verdient, und das mit ehrlicher Arbeit vergleicht, dann kriegt man auch Bock, an den Ketten zu rütteln, die Bitch am Kragen zu packen und volles Risiko zu gehen." / S. 47f.
Besonders gefällt mir an "Reservoir Bitches" wie Dahlia de la Cerda die Storys miteinander verwebt. Da taucht die Freundin, die ermordet wurde, als Schwester einer anderen Erzählerin wieder auf, die uns den Femizid allerdings als Suizid verkauft. Dort erzählt uns der brutale Dieb mit der Machete, der in eine Falle tappte, wie verzweifelt ihre - ja, es handelt sich um ein Mädchen - Situation eigentlich war. Die Verbindungen erscheinen ganz natürlich, sind nicht zu offensichtlich und die einzelnen Storys können auch für sich stehen
"Der Tod ist nicht glamourös. Im Tod gibt es keine Pailletten. Nur ein schwarzes, blutbeflecktes Kleid." / S. 99
Vielstimmigkeit aus einer Feder
Eindrücklich an Dahlia de la Cerdas Storys ist, wie vielstimmig sie daherkommen. Die Autorin wechselt mit jeder Geschichte die Perspektive. So lernen wir Yuliana, Tochter eines Drogenbosses und seine Nachfolgerin in spe, zuerst als Ich-Erzählerin kennen. Später aus den Augen ihrer Freundin Regina, deren Schwester und der bereits erwähnten Auftragskillerin. Dahlia de la Cerda nimmt uns mit in arme Familien, in reiche, in politisch erfolgreiche, in bescheidene, in religiöse. Sie gibt Einblicke in die Seelen ganz unterschiedlicher Frauen, darunter auch eine trans Frau. Und immer haben sie zu kämpfen - mit der Gewalt, den Männern, den Drogen, der Armut oder dem Überfluss, mit ihren eigenen Dämonen, Träumen und Ambitionen - und stellen sich diesem Kampf in der Hoffnung auf ein wenig persönliches Glück in einer Welt, die wenig Gutes für sie bereithält.
Ein ganz grosses Lob geht an Johanna Malcher, die den Text aus dem mexikanischen Spanisch ins Deutsche übertragen hat. Das war mit vielen Slang- und Milieubegriffen und der direkten, rauen Sprache von Dahlia de la Cerda bestimmt eine Herausforderung. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass der Übersetzerin die Übertragung der Sprachmelodie sehr gut gelungen ist - gerade in der grossen Varianz der unterschiedlichen Erzähler*innen mit ihrer je ganz eigenen Ausdrucksweise. Und, was ich immer sehr schätze, sie traut den deutschsprachigen Leser*innen auch etwas zu, indem sie nicht alles eindeutscht, sondern bestimmte Begriffe (z.B. "Cholo" oder "mijito") auf Spanisch belässt. Das lässt einen als Leser*in viel stärker in die gezeigten Lebenswelten eintauchen. Idealerweise, oft dank einer Internetrecherche, lernt man auch noch etwas dabei.
"Reservoir Bitches" hat international und im deutschsprachigen Raum zur recht schon von sich reden gemacht, etwa mit der Nominierung für den renomierten International Booker Prize 2025 und als Kandidat für die Hot List, der Buchpreis für Bücher aus unabhängigen Verlagen. Die Hot List wird am 9. September 2025 verkündet. Ich habe für Dahlia de la Cerda gestimmt und drücke ihr die Daumen.
Fazit
Willst du dich von Dahlia de la Cerda ins Mexiko der Drogenkartelle, der prekären Existenzen und der starken Frauenfiguren entführen lassen? Dann kann ich dir "Reservoir Bitches" mit 13 vielfältigen Storys nur herzlich empfehlen. Vorausgesetzt, du hast starke Nerven!
Die Fakten
Dahlia de la Cerda
Johanna Malcher (Übersetzung aus dem mexikanischen Spanisch)
CulturBooks
184 Seiten
Erschienen am 22.03.2025
Hardcover mit Lesebändchen
ISBN 978-3-95988-245-3
PS: Herzlichen Dank an CulturBooks und Netgalley DE für das digitale Rezensionsexemplar.
Das könnte dich auch interessieren
Brown Girls - Daphne Palasi Andreades (Luchterhand 2024)
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Giesskanne mit dem Ausguss nach vorne - Saša Stanišić (Luchterhand 2024)
Galatea - Madeline Miller, Thomke Meyer (Eisele 2022)
Pizza Girl - Jean Kyoung Frazier (Kampa 2022)
L.A. Weather - María Amparo Escandón (Flatiron Books 2021, englisch)
Das Haus an der Mango Street - Sandra Cisneros (Kampa 2020)
*Links mit * sind Affiliate-Links / Werbelinks. Wenn du das Buch über diesen Link kaufst, bekomme ich vom jeweiligen Shop eine kleine Provision. Am Buchpreis ändert sich für dich nichts. Du hilfst mir aber so, den Blog ein kleines Bisschen zu refinanzieren. Vielen Dank!
Kommentare