Flucht - ein Bilderbuch ohne Worte
Issa Watanabe erzählt in ihrem Bilderbuch "Flucht" davon, wie es ist, auf der Flucht zu sein. Sie macht das ganz ohne Worte und erzählt doch so viel.
Ende 2020 waren über 80 Mio. Menschen auf der Flucht, bedroht von Krieg, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen (gemäss UNHCR). Schon das neunte Jahr in Folge ist diese Zahl gestiegen. Wie viel schlimmer die Pandemie die Situation für diese Menschen gemacht hat, kann man sich wohl gar nicht vorstellen.
Auf der Flucht - vor dem Tod
Issa Watanabe fasst das Unsagbare nicht in Worte, sondern in Bilder. In ihrem Silentbook zeigt sie, wie es ist, auf der Flucht zu sein. Der Hintergrund dunkel, nur die Umrisse der Bäume sind zu erkennen. Im Nacken immer der Tod auf einem Stelzenvogel. Ich habe leider nicht herausgefunden, was es damit auf sich hat. Die Farbe stimmt zwar nicht, aber vielleicht ist es eine Assoziation zum Benu, dem altägyptischen Totengott? Dieser wurde in der ägyptischen Mythologie in Vogelgestalt (z. B. als Purpurreiher) dargestellt, die einem im Jenseits die ungehinderte Fortbewegung ermöglichte.
Die Tiere - ganz bunt und detailliert gezeichnet - machen sich mit wenigen Habseligkeiten auf den Weg. Sie helfen einander, kuscheln sich aneinander, geben Halt und Wärme, einige halten in der Nacht Wache. Sie besteigen ein Boot. Die Angst vor der Überfahrt, vor dem Ungewissen und der drohenden Gefahr durch die Naturgewalten ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Das Boot kentert, nicht alle kommen an. Der Tod ist ihnen weiterhin auf den Fersen, kennt keine Grenzen, nimmt einige mit sich. Am Ende ein bisschen Farbe, ein bisschen Hoffnung.
Das Buch transportiert unheimlich viel, nur mit den Bildern: die Ohnmacht, die einzige Möglichkeit, immer weiterzugehen, jedes Zurückschauen eine Gefahr. Und trotzdem ist da noch Hoffnung, hilft man sich, ist füreinander da. Sucht einen Ausweg, vielleicht eine neue Heimat.
Die Illustratorin Issa Watanabe stammt aus Peru und lebt heute auf Mallorca. Sie hat schon mehrere Kinderbücher gestaltet, die aber nur auf Spanisch und teilweise auf Französisch erschienen sind (z.B. Ça suffit Mammouth !). "Flucht" ist das erste, das beim Hanser Verlag auf Deutsch erschienen ist.
Das Gespräch eröffnen
Der Verlag empfiehlt das Buch ab 3 Jahren. Sicher, man kann dann die Bilder zusammen anschauen. Aber ein Dialog darüber scheint mir in dem Alter noch sehr schwierig bis unmöglich. Meine Kinder hatten in dem Alter noch gar kein Vorstellung vom Tod, keinen Begriff von Flucht und keine Ahnung, was eine Grenze überhaupt ist. Letzteres ist übrigens gar nicht so banal, ich habe mal ein Seminar zum Thema besucht! Ich würde das Buch deshalb frühestens ab 5 Jahren empfehlen, wenn denn das Interesse da ist. Es kann aber zum Einstieg in die Diskussion oder um selber ins Erzählen zu kommen, auch mit älteren Kindern noch sehr wertvoll sein. Und die Bilder beeindrucken natürlich in jedem Alter.
Fazit
Issa Watanabe versteht es, mit ihrem Bilderbuch "Flucht" ein schwer greifbares Thema wie Flucht und Migration in seiner Tragweite, Traurigkeit, Ausweglosigkeit nur über Bilder schon für Kinder verständlich zu machen. Ein Silentbook, das zu Gesprächen Anlass gibt und vor allem den Erwachsenen zum Nachdenken über unsere Verantwortung auf der "anderen Seite".
Die Fakten
Issa Watanabe (Illustration)
Hanser Verlag
40 Seiten
Erschienen am 17.08.2020
Hardcover
ISBN: 978-3-446-26822-7
Ab 5 Jahren
PS: Herzlichen Dank an den Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar.
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